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Die Enklave

Die Enklave

Titel: Die Enklave
Autoren: Michael Ann; Pfingstl Aguirre
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hören.« Noch mehr Freaks konnten wir nicht gebrauchen.

    Er setzte sich neben mich und befühlte mit den Fingern meine Stirn. »Du verbrennst, Taube. Hast du heute schon was getrunken?«
    »Ich hab das Wasser für Tegan aufgehoben.«
    »Warum?«, fragte er, aufrichtig erstaunt. »Sie wird sich nicht erholen. Du vielleicht schon.«
    Bleich reichte mir eine Flasche, frisch nachgefüllt mit dem lauwarmen Wasser. Langsam trank ich ein paar Schlucke und merkte, wie trocken meine Kehle geworden war. Jetzt, da Pirscher mich darauf hingewiesen hatte, spürte auch ich die Hitze in mir. Ich hatte gedacht, sie käme von dem Feuer.
    »Weil sie zu uns gehört«, sagte ich schließlich. »Und ich es satt habe aufzugeben.«
    Pirscher schüttelte den Kopf. »Das Unvermeidliche zu akzeptieren heißt nicht, aufzugeben.«
    Bleich lächelte bitter. »Doch, das tut es.«
    »Wie auch immer. Sie kann nicht laufen, und ich werde sie diesmal nicht tragen.«
    »Ich schon.« Bleich begann das Essen zuzubereiten.
    Ich wusste, dass Pirscher aufbrechen wollte, sobald wir gegessen hatten. Aber aus dem tiefsten Innern meines Herzens heraus wusste ich auch, dass wir das nicht durften. Wir mussten genau hier bleiben. Wir durften das Feuer nicht ausgehen lassen. Aber vielleicht lag es auch am Fieber, vielleicht hatte ich Seide gar nicht gesehen.
    Doch das konnte ich nicht glauben; andernfalls hätte ich auch akzeptieren müssen, dass Tegan im Sterben lag, dass wir nichts tun konnten, um sie zu retten, und dass es da draußen nichts anderes gab als nur noch mehr Freaks, leere Ödnis
und stille Verzweiflung. Noch bevor ich es merkte, flossen bereits Tränen über meine Wangen.
    »Die ganze Welt ist wie Dreifuß’ Messer!«, platzte ich heraus. »Sie schneidet uns, und wir bluten, ohne Sinn und Zweck.«
    Ich ballte meine Hände zu Fäusten, während ich versuchte, mich wieder unter Kontrolle zu bekommen. Eine Jägerin tut so etwas nicht , sagte ich zu mir selbst. Und diesmal war es meine Stimme, die da in meinem Kopf sprach, nicht Seides, und ich spürte, dass sie mich endgültig verlassen hatte, dass ihr Abschied echt gewesen war. Und ich war keine Jägerin, keine richtige. Ich war verbannt worden, kurz bevor meine ganze Sippe ausgerottet wurde. Ich war, wie ich es vor so langer Zeit schon einmal gedacht hatte, nur ein kleines Mädchen mit sechs Narben.
    Ich habe getan, was du mir gesagt hast. Das ist nicht gerecht. Ich habe das Feuer nicht ausgehen lassen .
    Bleich gab Pirscher das geröstete Fleisch, und dann tat er etwas, das er seit ich weiß nicht wie lange schon nicht mehr getan hatte: Er setzte sich neben mich. Er legte mir einen Arm um die Schulter und lehnte seinen Kopf gegen meinen wie vor so langer Zeit in den Tunneln, als es nur Dunkelheit und uns beide gab. Meine Tränen flossen nur noch stärker, ich konnte sie nicht zurückhalten.
    »Wir stehen das hier durch«, versprach er, wie ich es vor so langer Zeit getan hatte, als wir nach Nassau unterwegs gewesen waren, ohne Hoffnung, je zurückzukehren.
    »Ja?«, fragte ich und blickte hinüber zu Tegan. »Wie?«
    Und dann rief eine seltsame Stimme, eine neue Stimme, aus der Dunkelheit: »Wer is da? Ich hab euren Rauch gesehn.
Antwortet, wenn ihr Freunde seid. Wenn nich, verzieh ich mich wieder, bevor ihr mich noch fangt!«
    Ich starrte die Rauchsäule an, die sich wegen des grünen Holzes deutlich sichtbar in den dunklen Himmel erhob, und flüsterte: Danke, Seide.

ERLÖSUNG
    Mühsam kam ich auf die Füße und musste mir einen Schmerzensschrei verbeißen, dann schaute ich nach oben, denn die Stimme war anscheinend von dort gekommen. Einen Moment lang sah ich nichts, und ich befürchtete, mein Fieber wäre schlimmer geworden, aber dann entdeckte ich einen Schatten, den ich als die Umrisse eines Menschen erkannte. Er war groß, und er war echt , und er starrte auf mich hinunter. In der einen Hand hielt er eine Lampe; sie sah genauso aus wie die, die Bleich und ich in dem Raum benutzt hatten, in dem die Tunnelbewohner ihre Relikte aufbewahrten.
    Er richtete den Lichtschein auf uns und musterte unsere Gruppe. Seine Stimme überschlug sich fast vor Bestürzung, als er schließlich sagte: »Ihr müsst völlig übergeschnappt sein, dass ihr euch so weit draußn rumtreibt. Hier isses nich sicher.«
    Ich musste mir ein Lachen verkneifen. In meiner Welt gab es das Wort »sicher« nicht. »Wir haben uns verirrt, und eine von uns ist verletzt.«
    Er beugte sich vorsichtig ein Stück nach vorn, um zu
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