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Die Elfen des Sees

Die Elfen des Sees

Titel: Die Elfen des Sees
Autoren: Monika Felten
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mit Pflichten überhäuft zu sein, reichte eigentlich schon aus, um ihre Weigerung zu begründen. Aber Lya-Numi gehörte nicht zu jenen Elfen, die ihr einmal gegebenes Wort brachen. Sie hatte zugesagt, drei Mondläufe im Tempel zu verbringen, und würde sich daran halten, auch wenn sie ihre Entscheidung längst getroffen hatte.
    Ein Hornsignal ertönte, der Nebel lichtete sich.
    »Wir sind da«, raunte Elwren ihr zu. Lya-Numi reckte sich, um besser sehen zu können, und spürte, wie ihr ein Schauder den Rücken hinunterlief.
    Vor ihr lag der aus hellem Stein erbaute Tempel der Gütigen Göttin im silbernen Mondlicht. Das kunstvolle Bauwerk thronte mit seinen Balkonen, Balustraden und Nebengebäuden in der Mitte einer Anhöhe, deren fester Grund sich über dem Sumpf erhob. Die Käfer hatten ihre Plätze wohlgewählt. In feinen schimmernden Linien zeichneten sie die Umrisse des Wegs nach, der zum Tor führte, und leuchteten dabei so hell, dass auch die Bäume und Sträucher rings um den Tempel in ihrem Licht erstrahlten.
    »Das ist … wundervoll.« Lya-Numi konnte den Blick nicht von dem Tempel abwenden. Niemals zuvor hatte sie ein so schönes Bauwerk gesehen.
    »Ja, der Tempel ist einmalig.« Elwren nickte. »Komm, wir reiten hinüber. Ich glaube, sie haben einen kleinen Empfang für dich vorbereitet.«
    »Einen Empfang? Für mich?« Lya-Numi warf der Novizin einen unsicheren Blick zu. »Warum?«
    »Es ist lange her, dass Gilraen als erwählte Novizin der Hohepriesterin in den Tempel kam.«
    »Aber ich bin doch nur ein Gast …«
    »Ich weiß.« Elwren schaute Lya-Numi von der Seite an und lächelte.
    Die feierliche Ankunft im Tempel geriet für Lya-Numi zu einem unvergesslichen Erlebnis. An der Seite der Hohepriesterin betrat sie das höchste Heiligtum der Nebelelfen zum ersten Mal in ihrem Leben und sah sich unvermittelt den mehr als zweihundert Priesterinnen und Novizinnen gegenüber, die sich auf dem weitläufigen Innenhof versammelt hatten, um sie zu begrüßen.
    Gilraen machte sie mit einigen Priesterinnen bekannt, wobei sie zu Lya-Numis Erleichterung darauf verzichtete, sie als ihre Nachfolgerin vorzustellen.
    Im Schein der Leuchtkäfer, die sich an langen Stangen rings um den Innenhof zu Kugeln zusammengefunden hatten, wurden ihr und den anderen der Gruppe ein kaltes Mahl aus Käse, Brot und Beeren gereicht. Danach machte sich Lya-Numi mit Elwren auf den Weg zum Haus der Novizinnen, um neue Kleider zu erhalten und zu erfahren, wo sie fortan die Nächte verbringen würde.
    Die Unterkünfte der Novizinnen lagen in einem Nebengebäude, ein wenig abseits des Tempels. Im Gegensatz zu der Pracht, die im Tempel allerorten anzutreffen war, waren sie so schlicht und schmucklos gehalten wie die hellgrauen Gewänder der Novizinnen, deren einziger Schmuck in einer mit Silberfäden durchwirkten Kordel bestand, mit der sie um die Taille geschnürt wurden. Lya-Numi erhielt drei dieser Gewänder, eine gewebte Decke und ein mit Federn gefülltes Kissen. Obwohl ihr Bett nicht mehr war als ein Holzgestell, auf dem ein Strohsack lag, beklagte sie sich nicht. Sie hatte schließlich nicht vor, lange zu bleiben. Ihr letzter Gedanke galt Dirair und dem Leben, das sie sich mit ihm am Graslandsee erträumte. Dann legte sie sich nieder und schlief auf der Stelle ein.
    Ein helles und viel zu lautes Hornsignal riss Lya-Numi aus dem ersten traumlosen Schlaf, der ihr seit etlichen Sonnenläufen vergönnt war. Die Novizinnen, die mit ihr den Schlafraum teilten, halfen ihr, sich an ihrem ersten Morgen zurechtzufinden. Es war so, wie Gilraen gesagt hatte: Das Leben der Novizinnen verlief nach einem streng festgelegten Plan. Nach dem Gebet zum Sonnenaufgang, das Lya-Numi nicht mitsprechen konnte, nahmen sie gemeinsam das Morgenmahl ein. Dann begannen sie mit der Arbeit im Tempel oder in den Gärten oder erhielten Unterricht in verschiedenen Belangen, die eine Priesterin wissen musste. Diese Pflichten blieben Lya-Numi vorerst erspart, denn Elwren erbot sich, ihr den Tempel und die Gärten zu zeigen, damit sie sich auch ohne Hilfe in der ausgedehnten Anlage zurechtfinden konnte.
    In den folgenden Sonnenläufen sah und hörte Lya-Numi viele interessante Dinge und erfuhr mehr über das Leben und Wirken der Priesterinnen, als sie es sich jemals hätte vorstellen können. Was ihr im fernen Grasland wie eine geheimnisvolle Welt voller Mysterien erschienen war, entpuppte sich als eine straff geordnete Gemeinschaft mit strengen Regeln, die der in
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