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Die Elfen des Sees

Die Elfen des Sees

Titel: Die Elfen des Sees
Autoren: Monika Felten
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schon wieder zu einem winzigen Funken geworden, der sich zu den anderen gesellte.
    … liebe dich , glaubte sie Dirairs Stimme ganz schwach, wie aus weiter Ferne, zu hören. … bist frei … hier warten … wir uns wiedersehen …
    Dann war er fort.
    »Dirair!« Lya-Numis Stimme gellte durch die Nacht. Blind vor Tränen stürmte sie vor und wäre wohl in den Abgrund gestürzt, wenn die Hohepriesterin sie nicht im allerletzten Augenblick zurückgerissen hätte.
    »Lasst mich!« Lya-Numi wehrte sich und versuchte die Hand abzuschütteln, die sie hielt. Doch vergeblich.
    »Du wirst ihn wiedersehen – irgendwann.« Gilraen legte den Arm um Lya-Numis Schultern und zog sie von der Felskante fort. »Sieh!« Sie deutete zum Himmel hinauf, wo sich die funkelnde Wolke langsam entfernte und vor dem Hintergrund der Sterne langsam verblasste. »Sie kehren zurück in die Ewigen Gärten des Lebens.«
    Lya-Numi wehrte sich nicht. Wie betäubt blickte sie der Wolke nach, ehe sie sich von der Hohepriesterin zu Rukh führen ließ, wo sie sich wie ein Kind in Gilraens Armen zusammenkrümmte und hemmungslos zu weinen begann.
    Dirair ist tot! Tot, tot …
    Gleich einem Dammbruch bahnten sich Kummer und Schmerz, die sich in den vergangenen Mondläufen in ihrem Innern aufgestaut hatten, einen Weg nach draußen, und die Tränen spülten auch die letzte Hoffnung fort.
    Dirair ist tot. Drei Worte, die Lya-Numi das Herz zerrissen, so grausam, dass sie glaubte, sterben zu müssen. Aber auch drei Worte, die ihr altes Leben beendeten und sie freigaben für die Aufgaben, die sie erwarten mochten.
    Als die Sonne aufging, hatte Lya-Numi keine Tränen mehr. Mit geröteten Augen löste sie sich aus Gilraens Armen, straffte sich, so gut es ging, und sagte mit brüchiger Stimme: »Also gut, dann werde ich es versuchen.«
    »Was?« Gilraen sah sie überrascht an.
    »Die Asche des Vergangenen abzuschütteln, um einen neuen Anfang zu finden.« Lya-Numi wischte eine letzte Träne fort. »Wenn Ihr mich noch als Novizin wollt – ich bin bereit.«

Viele hundert Sommer später …
    … Nach einer Zeit, die der Elfenpriesterin wie eine kleine Ewigkeit vorkam, wurde der Sturm der Funken langsam schwächer, und in dem Maße, wie die Funken erstarben, begannen die Windspiele in den Bäumen wieder zu singen und die Nacht mit ihrer leisen Musik zu erfüllen. Der letzte Funke erlosch, doch selbst jetzt wagte niemand zu sprechen, und der liebliche Klang der Windspiele tat ein Übriges, um die feierliche Stimmung zu vollenden. Lya-Numi trat ans Feuer, blickte über die versammelten Elfen hinweg und hob erneut die Arme, um mit dem Dankgebet an die Gütige Göttin zu beginnen. Wie es in der Überlieferung festgelegt war, würde sie, die Priesterin, die Worte vorsprechen, und die versammelten Nebelelfen würden sie gemeinsam wiederholen.
    »Sinayan Matra a Mongruad – heilige Mutter allen Lebens«, hob sie an und verstummte, um den Stimmen der Elfen zu lauschen. Doch statt des vielstimmigen Chores drang ihr ein anderer Ton ans Ohr, und das Blut gefror ihr förmlich in den Adern – das wütende, furchteinflößende Fauchen eines Raubtiers. Sie hatte immer gehofft, dieses Geräusch niemals wieder hören zu müssen. Ein Quarlin! Im nächsten Augenblick erkannte Lya-Numi ihren Irrtum. Nicht ein Quarlin befand sich auf der Lichtung – es waren fast hundert!
    Schon zerrissen grauenhafte Schreie die Luft, und die dicht gedrängte Menge der Nebelelfen wogte in kopfloser Panik hin und her. Von ihrem erhöhten Standpunkt aus beobachtete Lya-Numi Männer, Frauen und Kinder, die verzweifelt eine Lücke in der geschlossenen Doppelreihe der Raubtiere zu finden versuchten – doch vergeblich. Die Quarline hatten einen dichten Ring um die Elfen gebildet, aus dem es kein Entrinnen gab.
    Mit Tränen der Verzweiflung in den Augen drehte sich Lya-Numi um, riss einen brennenden Ast aus dem Scheiterhaufen und stürzte sich, den Ast wie eine Waffe vor sich hertragend, in den Kampf. Wenn ich schon sterben muss, dann nicht allein, dachte sie grimmig, während sie mit versteinerter Miene auf einen Quarlin zuschritt, der sie fauchend erwartete.
    Lya-Numi wusste, dass sie in den Tod ging, aber sie spürte keine Furcht. So musste Dirair sich gefühlt haben, als er dem Quarlin vor vielen hundert Sommern allein und nur mit einem Speer bewaffnet, gegenübergetreten war. Dirair, den sie immer noch so sehr liebte wie damals. Dirair, der in den Gestaden der Ahnen auf sie wartete – und den
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