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Die Elfen des Sees

Die Elfen des Sees

Titel: Die Elfen des Sees
Autoren: Monika Felten
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nichts zu spüren, dennoch blieb ihr Hochgefühl nicht ungetrübt. Ein quälender Hunger wütete in ihr, und ihre Muskeln protestierten schmerzhaft gegen das lange Sitzen. Immer wieder musste sie die Haltung ändern, um das Gewicht ein wenig zu verlagern.
    Gilraen entging ihre Unruhe nicht.
    Hab Geduld. Es ist nicht mehr weit , hörte Lya-Numi die Stimme der Hohepriesterin in ihren Gedanken und hätte es fast so selbstverständlich hingenommen wie am Abend zuvor, als ihr plötzlich die Bedeutung der wenigen Worte bewusst wurde.
    Ich höre sie! Die Erkenntnis übermannte Lya-Numi wie eine Sturmböe und raubte ihr für einen Moment den Atem. Die Hohepriesterin hatte sie in Gedanken angesprochen, und sie hatte es so mühelos verstanden, als ob sie die Worte laut gesagt hätte. Ein heißes Glücksgefühl durchströmte sie, als sie erkannte, was das bedeutete. Und endlich wusste sie auch, was Gilraen gemeint hatte, als sie unmittelbar vor dem Abflug gesagt hatte, sie sei beeindruckt.
    Der Erfolg machte Lya-Numi Mut. Sie schloss die Augen und erschuf im Geiste das Bild der Hohepriesterin, wie sie auf dem Rücken des Riesenalps saß. Dann sandte sie ihr einen Gedanken:
    Ehrwürdige?
    Ich höre dich, meine Tochter.
    Wirklich?
    So wirklich, wie ich auch Rukhs Stimme vernehme.
    Das … das ist unglaublich.
    Es klappte. Sie beherrschte die Gedankensprache! Lya-Numi spürte, wie ihr vor Glück Tränen in die Augen stiegen. Hastig schluckte sie dagegen an, weil sie fürchtete, die Gedankenverbindung könne unter dem Ansturm der Gefühle getrennt werden.
    Du wirst bald lernen, deine Gefühle von den Gedanken zu trennen , hörte sie Gilraen sagen. Der erste Schritt ist getan. Nun heißt es üben.
    Keine Sorge, das werde ich , erwiderte Lya-Numi so entschlossen, als sei es ein Schwur. Und fügte im Stillen hinzu: Es gibt so vieles, das ich noch lernen möchte.
    Das ist gut. Lya-Numi sah, dass die Hohepriesterin nickte. Aber das hat Zeit, bis wir zurück sind. Wir sind da. Dort unten ist der Felsvorsprung, auf dem wir landen werden.
    Ein Felsvorsprung? Nur mit Mühe gelang es Lya-Numi, sich ihre Enttäuschung nicht anmerken zu lassen. Sie hatte den Flug mit hohen Erwartungen angetreten. Ohne dass sie es sich eingestanden hatte, hatte sie vermutet, an einen verwunschenen Ort der Götter oder Geister zu reisen, dem ein mächtiger Zauber innewohnte. Zu einem Palast oder Tempel inmitten der Berge. Zu einem Altar zu Ehren der Gütigen Göttin oder zumindest zu einer Höhle, in deren Tiefe sich große Geheimnisse verbargen. Dass ihr Ziel ein karger Felsvorsprung sein könnte, daran hatte sie nicht einen Gedanken verschwendet.
    Und doch war es so.
    Das Plateau, auf dem Rukh zur Landung ansetzte, entwuchs der Westflanke eines zerklüfteten Kamms, der Lya-Numi mit seinen spitzen und aufrecht stehenden Zacken an den Rücken einer schlafenden Echse erinnerte. Der Wind hatte den Schnee fortgefegt. Das aschgraue Gestein lag noch im Schatten und wirkte wenig einladend.
    Rukhs harte Krallen erzeugten auf dem Fels ein schabendes Geräusch, das Lya-Numi einen Schauder über den Rücken jagte. Aber auch der eisige Wind, der wild und ungestüm über das Plateau pfiff, trug seinen Teil dazu bei, sie frösteln zu lassen.
    »Was wollen wir hier?«, fragte sie die Hohepriesterin, ohne sich die Mühe zu machen, ihren Unmut zu verbergen. Was immer sie am Ende der Reise vorzufinden erwartet hatte – das hier war es gewiss nicht. Das karge Plateau bot dem Auge keine Abwechslung, und es war nicht zu erwarten, dass sich außer ihnen noch jemand in dieser unwirtlichen Gegend aus Fels und Schnee aufhielt.
    »Hab Geduld.« Die Hohepriesterin drehte sich zu ihr um und lächelte. »Du wirst es bald erfahren. Zuvor aber wollen wir rasten und reden.«
    Im Windschatten von Rukhs massigem Körper und eingebettet in sein wärmendes Federkleid, verzehrten die beiden Nebelelfen eine kalte Morgenmahlzeit aus Käse, Obst und Brot und sandten der Gütigen Göttin im rituellen Morgengebet einen Gruß. Ein zweites Gebet galt ihrer Reise. Sie baten um gutes Gelingen und darum, dass das schöne Wetter anhalten möge. Lya-Numi fügte den Wünschen in Gedanken noch eine Fürbitte hinzu, in der sie darum bat, Dirair bald wohlbehalten wiederzusehen, in der Hoffnung, dass sie erhört werden möge.
    Die Sonne stieg höher, überwand den Kamm und spendete ihnen etwas Wärme, die auch Rukh genoss, obwohl er in diesen eisigen Gefilden zu Hause war. Anders als in den Sümpfen flog er
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