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Die Elfen des Sees

Die Elfen des Sees

Titel: Die Elfen des Sees
Autoren: Monika Felten
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ihrem Heimatdorf nicht ganz unähnlich war. Wie bei den Fischern am See lernten auch bei den Priesterinnen die Jungen das Tagewerk von den Älteren, und wie daheim im Grasland hatte auch hier jede ihre Aufgabe, die sie zu einem Teil der Gemeinschaft machte. Anders als im Grasland aber ließ das streng geregelte Leben zwischen Gebeten, Arbeit, Mahlzeiten und Schlaf den Priesterinnen und Novizinnen keinen Freiraum. Von Sonnenaufgang bis weit nach Sonnenuntergang schien es nichts als Pflichten, Gebete und Rituale zu geben, deren Sinn sich Lya-Numi nicht immer erschloss.
    Elwren gab ihr auf alle Fragen geduldig Antwort und nahm auch zu kritischen Anmerkungen gelassen Stellung. Diese Gelassenheit, der freundliche Umgang miteinander und die Geduld, die man ihr gegenüber zeigte, obwohl sie sich oft abweisend verhielt, beeindruckten Lya-Numi. Hatte sie es zunächst darauf zurückgeführt, dass sie ein Gast der Hohepriesterin war, erkannte sie bald, dass dieses Verhalten auch untereinander gepflegt wurde. Streit und Meinungsverschiedenheiten schien es im Tempel nicht zu geben.
    All das genügte jedoch nicht, sie umzustimmen. Vor allem abends, wenn sie allein auf ihrem Lager lag, übermannten sie das Heimweh und die Sehnsucht nach Dirair. Ihr Bruder hatte ihr versprochen, die Hohepriesterin sofort mittels Gedankensprache zu unterrichten, wenn es Neuigkeiten von Dirair gäbe, und die Hohepriesterin hatte ihr versichert, ihr diese unverzüglich mitzuteilen. Aber die Sonnenläufe verstrichen, ohne dass die ersehnte Nachricht von Dirairs Heimkehr eintraf, und so blieb Lya-Numi nur die immer schwächer werdende Hoffnung, dass sich ihre Träume doch noch erfüllen würden, während der Kummer, den sie sorgsam vor den anderen verbarg, ihr fast das Herz zerriss und sie sich in den Schlaf weinte.
    Nach sieben Sonnenläufen begann Lya-Numi am Leben der Novizinnen teilzuhaben. Gemeinsam mit zehn anderen jungen Elfen, die erst wenige Mondläufe im Tempel weilten, erhielt sie Unterricht im Heilen, in der Kunst des Sehens und anderen Fertigkeiten, die eine Priesterin der Gütigen Göttin erlernen musste, allen voran das Kre-An-Sor, die waffenlose Kampftechnik der Nebelelfen.
    Das Kämpfen ohne Waffen weckte von Anfang an Lya-Numis Begeisterung, aber auch das Wissen um die vielen Kräuter und deren Heilkräfte zog sie völlig unerwartet in den Bann. Unter der kundigen Anleitung der Priesterinnen wurde ihr klar, dass mehr in ihr steckte als nur eine Fischerin. Die Kunst des Sehens, das erkannte sie schnell, beinhaltete weit mehr als die Fähigkeit, Träume und Visionen zu unterscheiden und diese zu deuten. Was sie sich in vielen Sommern mühsam erarbeitet hatte, berührte gerade einmal den Rand eines riesigen Feldes, das es noch zu erforschen gab.
    Nicht anders war es mit der Heilkunst. Die alte Heilerin in ihrem Heimatdorf war eine kluge Frau, aber nur allzu oft hatte Lya-Numi erlebt, dass auch sie nicht hatte helfen können. Die Priesterinnen hingegen schienen solche Grenzen nicht zu kennen. Sie vermochten sogar dem Tod die Stirn zu bieten …
    Zehn Sonnenläufe, nachdem Lya-Numi in den Tempel gekommen war, kam ein Reiter in der Abenddämmerung zum Tempel. Ein Mensch! Das Pferd war am Ende seiner Kräfte. Flockiger Schweiß bedeckte das schwarze Fell, die Augen waren weit aufgerissen, der Atem ging stoßweise.
    Der Zustand des Pferdes kümmerte den Mann nicht. Ohne es anzubinden, schwang er sich aus dem Sattel und stürmte in den Garten, wo Lya-Numi und die anderen Novizinnen gerade Kräuter schnitten, aus denen sie am nächsten Tag Heiltränke herstellen sollten.
    »Ist eine Heilerin unter euch?«, rief der Mann schon von Weitem. Lya-Numi schaute auf und erkannte, dass er ein Bündel im Arm hielt – ein kleines Kind.
    »Ja, ich.« Die Priesterin, die die Novizinnen anleitete, trat vor.
    »Ehrwürdige.« Der Mann blieb stehen, neigte kurz das Haupt und kam dann gleich zur Sache. »Bitte helft mir, Ehrwürdige«, sagte er flehend. »Mein Sohn!« Mit einem Kopfnicken deutete er auf das Kind in seinem Arm. »Er hat giftige Beeren gegessen und ringt mit dem Tode.« Er schluchzte auf. »Niemand kann ihm helfen. Ihr … Ihr seid meine letzte Hoffnung. Ich … ich bin …«
    »Giftige Beeren, sagst du?« Die Priesterin trat näher, schlug die Decke zur Seite, in die der Mann das Kind gewickelt hatte, und schaute dem Knaben in das bleiche Gesicht. »Welche Beeren, wann und wie viele?«
    »Diese hier.« Der Mann löste einen Lederbeutel von
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