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Verborgen

Verborgen

Titel: Verborgen
Autoren: Tobias Hill
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I
     
    Aufzeichnungen für eine Doktorarbeit
     
    Die Geschichte, so sagt man, wird von den Siegern geschrieben. In einem Fall ist dieser Gemeinplatz falsch. Die Spartaner waren einst Herren über alles, was sie überblickten, sie herrschten über Griechenland durch Schrecken und Krieg, doch sie vertrauten ihre Macht nicht Geschriebenem an.
    Das geschriebene Wort ist uneigennützig. Bereitwillig gibt es seine Geheimnisse preis: Es richtet sich gleichermaßen an Freund und Feind. Die Spartaner überließen deshalb nur wenig seiner Obhut. Sie waren ein verschwiegenes Volk. Sie schrieben wenig, und auch von diesem Wenigen ist nur wenig erhalten. Die Schriften der Spartaner, die uns überliefert sind – Alkmans freudige Mädchenlieder, Lysanders prahlerische Inschriften –, sind nicht die fehlenden Teile des Puzzles, sie sind dessen einzige noch vorhandene Teile; das Puzzle selbst fehlt, und so wurde das Wesen des Puzzles – das Wesen Spartas – an sich zum Rätsel.
    Es ist gewagt, über ein so wortkarges Volk fast ausschließlich Mutmaßungen anzustellen. Man könnte (beispielsweise) mutmaßen, dass unsere Ungewissheit den Spartanern Genugtuung bereiten würde, aber selbst darüber gibt es keine Gewissheit. Dass sie der Welt keine Erklärungen hinterlassen haben, würde sie nicht übermäßig bekümmern, denn was die Welt dachte, hat sie kaum interessiert. Sie waren ein Volk, das vieles tat und wenig sagte, und es wäre ihnen vermutlich angemessen erschienen, nicht nach ihren Worten, sondern nach ihren Taten beurteilt zu werden. Und dass die Geschichtsschreibung über sie auf wenig mehr beruhen würde als auf vagen Vermutungen, ähnlich meinen eigenen hier – dass ihre Geheimnisse gewahrt bleiben würden, auch über die zweieinhalbtausend Jahre hinaus –, das hätte sie vielleicht auch gefreut.
    Würde es sie freuen, dass man sich überhaupt an sie erinnert? Wer mit ihnen umging, beschrieb sie als ein stolzes Volk. Niemand gerät gern in Vergessenheit. Die Neugier der Geschichte aber kennt kein Pardon, und Sparta ist so bedeutend, dass für den guten Historiker kein Weg daran vorbeiführt. Was überliefert ist, wird endlos nach dem Gold der Wahrheit abgesucht. Die Motive der Feldherren und Könige werden überprüft und nochmals überprüft, in Zweifel gezogen und zerpflückt. Die spärlichen Funde der Archäologie werden in ihrer Bedeutung überschätzt, zuweilen über jedes Maß hinaus. Und die uns bekannten Taten der Spartaner nehmen das Gewicht von Sagen an, so dass die Mythologie der Stadt heute von größerem Einfluss ist, als es ihre Archäologie vielleicht je sein wird.
    Da ist zum Beispiel die Sage von der Schlacht bei den Thermopylen. Sie lautet folgendermaßen:
    Vierhundertachtzig Jahre vor Christus zogen die Perser aus, Griechenland zu erobern. Ihr Heer war so groß wie ihr Reich, das sich vom Nil bis zum Indus erstreckte. So unvermeidlich war ihr Sieg, dass sich der Großkönig Xerxes mit seinen Leuten aufmachte, um seine Eroberungen selbst in Augenschein zu nehmen. Und so erdrückend war seine Macht, dass große Teile Hellas’, noch ehe er griechischen Boden betrat, Frieden schlossen und ihm Erde und Wasser darboten, Persiens Symbole der Unterwerfung.
    Jene, die Widerstand leisteten, wurden von den Spartanern angeführt. Doch nur wenige wollten von einem Krieg gegen das Reich sprechen, und noch weniger waren bereit, ihren Worten Männer folgen zu lassen. Die Perser waren bereits weit nach Süden vorgedrungen, bis zum Thermopylenpass dreihundert Kilometer vor Sparta, ehe sich ihnen auch nur ein einziger Hellene entgegenstellte.
    Die Thermopylen: Die heißen Tore . Seinen Namen verdankt der Pass schwefelhaltigen vulkanischen Quellen und drei Engstellen, den Toren. Es war eine tief liegende Straße, im Süden von Felsen überragt, im Norden zum Meer hin offen. Landeinwärts gab es nur endlose Berge, hohe Wälder und Felswände, Land, das für Ziegen taugte, aber für wenig mehr. Die Perser hätten andere Wege nach Süden finden können, hätten sie den Wunsch gehabt, danach zu suchen. Doch sie hatten ihn nicht. Sie brauchten ihn nicht zu haben. Sie wollten durch die Thermopylen, wo ihre Feinde sich gesammelt hatten.
    Xerxes’ Feinde wurden von Leonidas befehligt, dem König der Spartaner. Er führte fünftausendzweihundert Griechen an, unter ihnen dreihundert Homoioi, jene Spartiaten, die ihr Leben ausschließlich der Übung und Praxis des Krieges widmeten.
    Dreihunderttausend Perser standen den
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