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Die dunkle Seite

Die dunkle Seite

Titel: Die dunkle Seite
Autoren: Frank Schätzing
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verlieren willst.«
    »Du lügst.«
    »Wahrscheinlich sind sie schon unten. Ich bin schwer zu treffen, Jens. Ich bin zu schnell. Wir können uns stundenlang um die Säulen jagen, aber soviel Zeit wirst du nicht haben.«
    Sie wußte, daß es nicht stimmte.
    Er war zu schnell.
    Aber plötzlich hörte sie ihn von der Säule weg‐ und zur Treppe laufen. Im nächsten Moment hämmerten seine Schritte auf den Stahlstufen nach unten.
    Sie wartete und versuchte, das Zittern ihres Körpers unter Kontrolle zu bringen. Dann trat sie hinter der Säule hervor und warf einen Blick auf Marmann.
    Er war tot. In seiner Stirn klaffte ein kleines, schwarzes Loch.
    Nicoles Schreien war in wimmerndes Weinen übergegangen. Vera zögerte einen Augenblick, hin‐ und hergerissen zwischen dem Verlangen, sie endlich aus ihrer schrecklichen Lage zu befreien, und Lubold zu folgen.
    Sie würde sich später um Nicole kümmern.
    Falls es ein Später gab.
    Schnell lief sie zur Treppe und hastete nach unten. Von Lubolds Schritten war nichts mehr zu hören. Sie nahm zwei, drei Stufen auf einmal, sprang ganze Absätze herunter, ließ den ersten Stock hinter sich, erreichte das Erdgeschoß.
    Wo war ihre Waffe? Sie mußte hier irgendwo liegen.
    Es war zu dunkel.
    Draußen hörte sie einen Motor aufheulen. Sie rannte zu der Stahltür, riß sie auf und sah den silbernen Ford auf die Durchfahrt zuschießen.
    Und bremsen.
    Ein Wagen kam aus entgegengesetzter Richtung und verstellte die Durchfahrt. Die Fahrertür des Ford schwang auf. Vera sah Lubold herausspringen mit dem Koffer, die Waffe gezückt. Er schoß, noch während der Neuankömmling ausstieg. Vera hörte Glas splittern und sah Menemenci aus dem Wagen taumeln. Er versuchte, seine Waffe in Anschlag zu bringen. Auf seinem Ärmel breitete sich ein roter Fleck aus.
    Lubold beschleunigte seinen Gang und feuerte stoisch weiter. Menemenci rannte zu dem geparkten BMW, aber bevor er dahinter Deckung fand, erwischte Lubold ihn abermals.
    Der Kommissar wurde herumgerissen. Die Pistole entglitt seiner Hand.
    Er stürzte.
    Vera rannte los.
    Sie sah Lubold auf Menemencis Wagen zugehen. Mit wenigen Sätzen war sie bei dem Kommissar, der heftig keuchend und mit geschlossenen Augen dalag, ging in die Knie, griff nach seiner Pistole.

    Lubold hatte den Wagen erreicht. Er drehte ihr den Rücken zu. Sie kam hoch, stolperte vorwärts, hielt die Waffe weit von sich gestreckt.
    »Simon!«
    Er wirbelte herum.
    Sie standen wie in einem Magnesiumblitz, beide in Bewegung erstarrt. Ihre Waffe zeigte auf seinen Kopf, seine auf ihren. Mit ausgestreckten Armen, kaum zwei Meter voneinander entfernt, griff jeder mit gekrümmtem Finger nach dem Leben des anderen.
    »Simon ist tot«, sagte Lubold.
    »Was hat er von mir gewollt ? Ich will es wissen. Was hat Simon Bathge von mir gewollt?«
    Er schüttelte den Kopf.
    »Ich will es wissen«, forderte sie.
    »Dich hat er gewollt«, sagte Lubold. Es klang traurig und verloren.
    »Dich. Bathge hat einen Fehler gemacht.«
    »War das geplant?«
    »Nein.«
    »Und Lubold? Was will Lubold?«
    Sie sah die dünne Schweißschicht auf seiner Stirn. Seine Pupillen zitterten, aber seine Lippen begannen zu lächeln.
    Dann schoß er.
    Sein Finger krümmte sich. Aber kein todbringendes Projektil drang aus dem Lauf.
    Klick.
    Ein erstaunter Ausdruck trat in Lubolds Augen.
    Klick.
    Klick.
    Klick.
    »Du hast ein bißchen oft geschossen in letzter Zeit«, sagte Vera.
    »Kann das sein?«
    Von der Rheinuferstraße hörte sie schwach die Sirenen der Polizeifahrzeuge. Sie kamen näher. Keine Minute, und sie würden hier sein.
    Lubold schien wie erfroren.
    Langsam ließ er den Arm mit der leergeschossenen Pistole sinken.
    Das Quietschen der Reifen.
    Martinshörner.
    Blauflackernde Schatten.
    Sekunden noch.
    Vera hielt Menemencis Waffe unverwandt auf ihn gerichtet. Sie fühlte sich ruhig, fast leicht.
    Es ist so einfach, alles zu beenden. So schwer, etwas zu beginnen.
    Aber etwas hat begonnen, und die Mauern sind gefallen. Du hast die Wahl, deine Rache zu opfern oder den Urheber deiner Schmerzen, aber wie du auch entscheidest, laß es hinter dir.
    Die dunkle Seite ist ein Ort, an dem Zeit sich nicht ausbreiten kann.

Dank
    an alle, die direkt oder indirekt zur Entstehung dieses Buches beigetragen haben. Jeder soll etwas bekommen.
    Britta bekommt den Herz‐Buben. Catherine bekommt eine Eins in Französisch. Die vielen Autoren, deren Sachbücher und Dokumen-tationen mich gefesselt und mir weitergeholfen haben,
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