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Die dunkle Seite

Die dunkle Seite

Titel: Die dunkle Seite
Autoren: Frank Schätzing
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verhört, aber aus mir war ja nichts mehr rauszuholen, also brachten sie mich ins Lazarett und flickten mich zusammen. Kein lebenswichtiges Organ verletzt, ein Wunder.
    Die Kugeln waren so nett gewesen, sich zwischen meinen Innereien durchzumogeln. Und schon hatte der große Diktator einen neuen Mitarbeiter.«
    »Du hast... ?«
    »Kollaboriert! Schütteltʹs dich? Wohl kaum. Ich habe die letzten acht Jahre im Irak verbracht. Ich war Agent und habe dafür Sorge getragen, daß die Leute das Maul aufmachten, wenn einer was von ihnen wissen wollte. Und soll ich dir was sagen? Es ist nicht besser und nicht schlechter da als überall sonst auf der Welt.«
    Marmann sah ihn an. In diesem Moment wußte er, daß von Lubold keine Gnade zu erwarten war.
    »Bitte laß sie frei«, sagte er.
    Lubold bleckte die Zähne.
    »Hol sie dir. Schuhe und Strümpfe.«
    Tränen liefen über Marmanns Wangen. Mit zitternden Fingern löste er die Schnürsenkel erst des einen, dann des anderen Schuhs, schlüpfte heraus und zog die Socken von den Füßen. Winzige Splitter stachen in seine Haut. Er krümmte die Zehen zusammen und sah hinüber zu Nicole, die wimmernd in ihren Ketten hing.
    So voller Angst.
    Er biß die Kiefer aufeinander und begann zu gehen.

18.00 Uhr. Vera
    Sie sah den blauen BMW.
    Von ihrem Platz aus dem Schatten der Gasse heraus konnte sie die Werft beidseitig überblicken. Ein zweiter Wagen parkte hinter dem BMW.
    Marmann?
    Vorsichtig trat sie ins Licht.
    Die Sonne war mittlerweile nur noch als verwaschener Fleck auszumachen. Weiße Schlieren hatten sich davorgezogen, aber gerade das verstärkte den Eindruck, unter einer von Horizont zu Horizont reichenden Neonleuchte zu stehen. Die Werft kam ihr übermäßig grell ausgeleuchtet vor.
    Sie schob sich entlang der Backsteinmauer vorwärts. Solange sie dicht unter den Fenstern blieb, war sie aus dem Innern des Gebäudes nicht zu sehen.
    Ihre Hand umspannte die Glock 17. Eine GSG 9‐Waffe, Kaliber 9mm x 19 Para. Absolut tödlich, wenn man damit umzugehen wuß te.
    Es war das erste Mal seit langem, daß sie eine Waffe trug. Auf dem Schießstand war sie oft. Ihre Trefferquote lag bei fünfundneunzig Prozent. Dennoch hatte sie sich geschworen, im Einsatz nach Möglichkeit auf jede Bewaffnung zu verzichten. Sie beherrschte mehrere Kampfsportarten und ihren Kopf. Das hatte zu reichen.
    Diesmal würde es nicht reichen. Sie machte sich bezüglich Lubold keine Illusionen. Er war ein einziger Überlebensmechanismus. Er würde auch bereit sein, sie zu überleben.
    Links und rechts konnte sie die Einfriedungen großer Tore sehen, die ins Innere des Gebäudes führten. Einen Moment lang war sie unsicher. Dann siegte die Intuition. Dort, wo die Wagen standen, mußte es sein. Also das Tor zu ihrer Linken.
    Weiter huschte sie die Wand entlang und drückte sich in die Öffnung. Das Tor war verschlossen. Sie riskierte es, einen Schritt davon wegzutreten. Als sie den Kopf in den Nacken legte, sah sie über dem Tor eine verwitterte, kaum lesbare Schrift:
    ABYSS GMBH.
    Darunter war mit einiger Mühe zu entziffern:
    GR..HAN..L F.. T..CHBEDAR.
    Eine kleinere Tür war in den linken Torflügel eingelassen. Sie legte den Kopf dagegen und lauschte. Kein Geräusch drang an ihr Ohr, aber das mußte nichts heißen. Stahltüren schluckten den Schall oder leiteten ihn, je nach Gusto des Erbauers.
    Schnell drückte sie die Klinke herunter, schlüpfte hinein und ließ die Tür geräuschlos hinter sich zugleiten.
    In dem vor ihr liegenden Raum, mehr eine Halle, war niemand.
    Die Decke wurde von Säulen abgestützt. Rechts eine Stahltreppe.
    Weiter hinten ein Lastenaufzug.
    Vera schloß die Augen.
    Immer noch war nichts zu hören. Trotzdem mußte Lubold hier irgendwo sein.
    Sie lief zu der Treppe und sah nach oben.
    Ein Schacht.
    Es ging endlos hinauf. Hatte Lubold den ganzen Komplex gekauft?
    Im selben Moment schien es ihr, als habe etwas ihre Trommelfelle in Schwingung versetzt. Menschenlaute. Schrill und abgerissen. Sie hielt den Atem an und horchte.
    Ein Schrei. Unterdrückt.
    Weit über ihr.
    Vera begann, die Stufen hochzusteigen. Stetig und schnell, bemüht, kein Geräusch zu verursachen. Das war schwerer, als gedacht. Die Konstruktion befand sich in ständiger Schwingung. Metallisches Knacken durchlief die Streben und pflanzte sich nach oben wie nach unten fort. Ihre Absätze scharrten auf dem Stahlrost.
    Irgendwo quietschte etwas.
    Sie veranstaltete einen Höllenlärm!

    Vera fluchte unterdrückt. Leiser
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