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Die dunkle Seite

Die dunkle Seite

Titel: Die dunkle Seite
Autoren: Frank Schätzing
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drehen?«
    »Unschuldige?«
    Seine Lider flatterten. Er kam näher und deutete mit der Pistole auf Nicole in ihren Ketten.
    »Unschuldige?«
    »Gerade sie ist unschuldig!«
    »Unschuldig?« schnappte Lubold. »Hat sie dir erzählt, was sie den lieben langen Tag so tut?«
    »Ich weiß, was sie tut.«
    »Ich auch! Ich hab ein bißchen mit ihr geplaudert, damit mir die Zeit nicht lang wurde. Sie lebt in Intertown. Weißt du, wo das liegt?«
    »Ja. In Interworld.«
    »Und weißt du, wo das liegt? Sie findet es wichtig, in einer Datenwelt zu leben, Vera! In einer Scheinwelt. Dieselbe Welt, in der auch du herumirrst mit deinen Spider‐Cams und Suchprogrammen.«
    Er trat noch näher heran. Sein Gesicht war voller Verachtung.
    »Du willst über mich urteilen ? Die da soll unschuldig sein ? Was seid ihr für Menschen, Vera? Ihr wollt wissen, was das für eine Welt ist, in der wir leben? Es ist die Welt, die wir gemacht haben. Die ihr gemacht habt. Aber lieber programmiert ihr eine neue, als die alte in Ordnung zu bringen.«
    »Dein Moralgezeter kotzt mich noch mehr an als alles, was du getan hast!«
    »Ach ja?« Er schien amüsiert. »Dann hast du was mißverstanden.
    Ich bin weit davon entfernt, moralisch zu sein. Ihr verdient keine Moral. Nichts geht euch irgend etwas an. Niemand interessiert sich wirklich für Üsker, für Solwegyn, niemand! Es kommt in den Abendnachrichten, aber niemanden schertʹs, wir gucken lieber Serien oder verkrümeln uns in den Cyperspace. Diese Bewohnerin von Intertown da, die immer noch nicht begreift, daß das Fehlen ihres kleinen Zehs kein Programmierfehler ist, soll unschuldig sein?
    Sie konsumiert Hungersnöte, Kriege und Naturkatastrophen wie Kartoffelchips und verkriecht sich nach Interworld!«
    »Und niemand kümmert sich um den kleinen Jens, was?« spottete Vera.
    Lubold hielt inne. Dann lachte er trocken.
    »Der kleine Jens hat gelernt, sich um sich selber zu kümmern. Andere interessieren mich nicht. Die Menschen sind unmenschlich geworden, Vera. Es ist doch völlig gleichgültig, wen ich noch alles umbringe.«
    »Mich zum Beispiel?«
    Er absorbierte die Bemerkung.
    »Und?« fragte sie. »War es dir auch gleichgültig, als du mir meine Porträts erklärt hast?«
    Lubold sah sie an. Sein Blick bekam etwas Verschleiertes.
    »Nein«, sagte er leise.
    »Als ich die Kerzen angezündet habe?«
    »Nein.«
    »Wolltest...« Sie schluckte. »Wolltest du mich nicht beschützen, als wir zusammen ... ?«
    »Ja!« schrie er. »Verdammt, warum hast du nicht einfach aufgegeben? Warum mußtest du herkommen?«
    Sie breitete die Arme aus.
    »Dann schieß.«
    Er wich einen Schritt zurück und schüttelte den Kopf.
    »Das ist nicht meine Schuld, Vera.«
    »Schieß«, sagte sie ruhig. »Aber ich rate dir, gut zu treffen. Oder ich schicke dich in eine Hölle, die du dir nicht vorzustellen wagst.«
    Hinter ihr erklang ein Schrei. Lubolds Blick schweifte ab. Vera fuhr herum und sah, wie Marmann mit ausgebreiteten Armen auf sie zustolperte.
    »Nein!« heulte er. »Neeeiiiiin!«
    Sie hörte den Schuß und sah, wie Marmann zurückgeschleudert wurde. Er fiel in die Scherben, wo er regungslos liegenblieb und die Decke anstarrte. Nicole begann hysterisch zu schreien.
    »Schöne Grüße an Üsker«, sagte Lubold.
    Vera machte einen Satz zur Seite und begann zu rennen. Wieder schoß er, mehrmals schnell hintereinander. Sie schlug Haken wie ein Hase, dann war sie hinter der nächsten Säule.
    Einen Augenblick herrschte Stille bis auf Nicoles verzweifeltes Schreien.
    Hör auf, flehte Vera. Hör um Gottes willen auf zu schreien. Er wird auch dich erschießen.
    Sie hörte seine Schritte und preßte sich schwer atmend gegen die Säule.
    »Komm raus, Vera.« Sein Ton war nun wieder gelassen. »Du mußt dir keine Sorgen machen. Nicht im geringsten, hörst du? Das hier findet alles gar nicht statt. Heute gelten Ereignisse erst als existent, wenn eine Kamera drauf gerichtet ist. Wußtest du das nicht?«
    Vera rührte sich nicht.
    »Vera! Nun komm schon, was soll der Unsinn? Komm da raus. Du hast nicht die geringste Chance.«
    »Du auch nicht«, rief sie. »Wenn du hier nicht sofort verschwindest, kannst du dich gleich selber erschießen.«
    Die Schritte kamen noch näher.
    »In zwei Minuten wimmelt es hier von Polizei«, keuchte sie. »Sie schicken ein Einsatzkommando. Sie sind unterwegs.«
    Er verharrte.
    »Schön geflunkert«, sagte er, aber sie hörte die Unsicherheit in seiner Stimme.
    »Es liegt an dir, ob du Zeit
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