Bücher online kostenlos Kostenlos Online Lesen
Die dunkle Seite

Die dunkle Seite

Titel: Die dunkle Seite
Autoren: Frank Schätzing
Vom Netzwerk:
das vertraute Bild der Rheinuferstraße entschwand seinem Blick. Vor ihm lag eine betonierte, von Grasbü scheln aufgerissene Fläche. Links ging es steil runter zu den braunen Fluten des Rheins. Dem Backsteinkomplex zur Rechten entsprang weiter vorne ein Seitentrakt, der bis zum Wasser reichte und von einem weiteren Tor durchbrochen wurde.
    Es stand weit offen.
    »Ich bin hinter dem Gebäude«, sagte Marmann. »Was soll ich tun?«
    »Siehst du die Durchfahrt?«
    »Ja.«
    »Gleich dahinter parkt ein silberner Ford. Du fährst ein paar Meter weiter und stellst den Wagen dort ab.«
    »Wo genau?«
    »Das sage ich dir schon.«
    Marmann ließ den BMW langsam dahinrollen und das Tor durch‐
    queren. Die Werft dahinter erstreckte sich über eine Länge von gut zweihundert Metern und endete an einer Mauer. Zwei Containerkräne hoben sich gegen den gleißenden Himmel ab wie die Skelette prähistorischer Vögel. Im Wasser lagen ein rostzerfressener Leviathan von Frachter, der schon bessere Tage gesehen hatte, und mehrere kleinere Schiffe.
    Weit und breit war niemand zu sehen. Der Eindruck von Verlassenheit lag über allem. Abfall türmte sich vor den Toren, die ins Innere des backsteingemauerten Gebäudes führten. Die meisten sahen aus, als seien sie seit Jahren nicht mehr geöffnet worden, jedes Hüter einer verkommenen Geschichte.
    Links, nah am Wasser, stand der Ford. Langsam fuhr Marmann daran vorbei.
    »Stop«, sagte Lubolds Stimme.
    Marmann legte den ersten Gang ein und schaltete den Motor aus.
    Der Wagen ruckte und kam zum Stillstand. Zu schnell von der Kupplung gegangen, dachte er. Verfluchte Nervensache, das Ganze.
    Er wartete.
    »Was ist los, alter Freund? Willst du in dem Wagen verfaulen?
    Raus mit dir.«
    »Ich ... mache dir einen Vorschlag.« Ruhig, Marmann, nicht zittern.
    »Ich habe die Steine. Ich meine, du weißt, daß ich sie habe. Du kennst mich. Ich habe immer Wort gehalten.«
    »Stimmt. Ich kenne dich.«
    »Also. Ich stelle den Koffer vor das Tor da. In Ordnung? Oder vor den Ford. Egal. Sag, wohin du ihn haben willst. Dann schickst du mir Nicole raus, und wir verschwinden.«
    Lubold schwieg. Er schien zu überlegen.
    »Bitte, Jens«, sagte Marmann. »Wenn es die Diamanten sind, die du wolltest, dann hast du sie jetzt. Es gibt keinen Grund, Nicole weiter zu quälen. Schick sie raus.«
    »Du traust dich wohl nicht, reinzukommen«, säuselte Lubold.
    »Verdammt, das hat nichts mit mir zu tun! Es geht um Nicole.«
    »Dir geht es nicht um Nicole. Dir geht es um dein beschissenes kleines Leben.«
    »Nein!«
    »Weil du feige bist.«

    »Dann wäre ich nicht hier. Ich habe keine Angst vor dir, Lubold.«
    Gott, wie erbärmlich gelogen! »Ich will nur, daß wir ein Ende machen. Laß sie gehen!«
    »Ich begrüße es, daß du keine Angst hast«, sagte Lubold väterlich.
    »Aber schau, weiß ich, was du da in deinem Koffer hast? Weiß ichʹs? Was würdest du an meiner Stelle tun?«
    Marmann schwieg.
    »Nein, Andischatzi, jetzt bist du schon den ganzen weiten Weg gekommen aus dem fernen Frankreich, da wäre es ja wohl unhöflich, dich nicht reinzubitten.«
    »Jens, ich ...«
    »Steig aus!«befahl Lubold eisig. »Jede Verzögerung kostet Zehen!«
    »Nein!«
    Marmann packte den Koffer, riß die Türe auf und taumelte hinaus ins Sonnenlicht. Sein Blick erwanderte die Fassade des Gebäudes.
    Es war riesig. Massiv und feindselig, durchbrochen von schmalen Schluchten, die auf die andere Seite führten, wie Marmann vermutete, dorthin, wo die Welt in Ordnung war und normale Menschen ihre Autos über die Rheinuferstraße steuerten. Viele Scheiben waren zu Bruch gegangen, die unbeschädigten blind von abgelagerten Dreckschichten.
    Hinter einem der Fenster mußte Lubold sein. Sah auf ihn herab, machte sich über ihn lustig.
    Er war da drin, zusammen mit Nicole.
    »Bitte tu ihr nicht weh«, flüsterte Marmann. »Sie hat dir nichts getan, ich flehe dich an.«
    Er war kurz davor, in Tränen auszubrechen.
    »Ich werde ihr nicht weh tun«, sagte Lubold nach einem kurzen Schweigen. »Es hegt ganz an dir.«
    »Ja! Sag, was ich tun soll.«
    »Direkt vor dir ist ein Stahltor. Siehst du es?«
    »Ich sehe einige Stahltore.«
    »Ich meine konkret das Tor vor dir.«

    »Ja.«
    »Darüber sind Reste von Buchstaben zu erkennen. Das hieß mal ABYSS GmbH. Großhandel für Tauchbedarf.«
    Marmann kniff die Augen zusammen.
    »Ja. Ich glaube, ja.«
    »In dem Tor wiederum siehst du eine Tür. Öffne sie.«
    Marmann setzte sich auf wackligen Beinen
Vom Netzwerk:

Weitere Kostenlose Bücher