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Die dunkle Seite

Die dunkle Seite

Titel: Die dunkle Seite
Autoren: Frank Schätzing
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Strudel aus Grausamkeiten.
    Offenbar konnte sie sich Lubold nicht nähern, wenn sie versuchte, seine Grausamkeit zu erklären.
    Warum war ein Ungeheuer ein Ungeheuer?
    Jeder, der sich mit Serienmördern, Folterern, Vergewaltigern, Fanatikern und Jägern auseinandersetzte, stellte sich diese Frage als erste. Und als letzte. Dazwischen lagen die unzähligen Versuche, das Schlimmste zu verhindern, aber die Seele des Mörders blieb verschlossen.
    Sie wußte, daß Menemenci sich dieselbe Frage stellen würde. Es war die Standardfrage aller, die das Verbrechen bekämpften, wo es sich mit Vernunft nicht mehr erklären ließ. Die Frage kursierte wie ein pointenloser Witz und konnte einen dazu bringen, stundenlang vor sich hinzustarren, bis man glaubte, den Job wechseln zu müssen.
    Warum war ein Ungeheuer kein Ungeheuer?
    »Auf wessen Seite stand er?«
    »Ich schätze, auf der richtigen.«
    »Der richtigen? Welche meinen Sie denn?«
    Halm schien sie zu verfolgen. Konnte man es einem Menschen wie Lubold zugestehen, die Frage nach richtig und falsch aufzuheben, um ihn zu begreifen?
    Auf welcher Seite stand ein Mörder im Augenblick seiner Geburt?
    Auch ein Großmeister der Verstellung wie Lubold konnte keine Zärtlichkeiten simulieren. Nicht 50. Er war sanft gewesen. Er hatte sanft sein wollen. Die Einblicke, die er Vera in ihr eigenes Inneres ermöglicht hatte, sein tiefes Verständnis, das alles deutete auf einen sensiblen, feinfühligen Menschen hin, nicht auf ein Monster.
    Ließ sich das Entsetzliche über das Gute begreifen ? Halm hatte Lubolds Kindheit angeführt, aber damit trieb er an der Oberfläche psychologisierender Allgemeinplätze. Er hatte Lubolds Handeln vielleicht erklären können. Wie aber schaffte man es, wie Lubold zu fühlen?
    Was geschah in dem Moment, da ein Mensch zum Unmensch wurde? Was passierte mit ihm in dieser alles entscheidenden Sekunde, wie empfand er sie?
    Vera versuchte, Üsker vor ihr geistiges Auge zu rufen. Üsker gefoltert und geschunden auf einem Stuhl. Dann weg mit ihm. Solwegyn, zur Unkenntlichkeit verbrannt. Weg. Sie alle waren nur Symptome. Andere, namenlos und unbekannt, die Lubold im Laufe seines Lebens gequält hatte, bis auch diese Dosis nicht mehr wirkte, fort mit ihnen.
    Weiter hinab.
    Tiefer.
    Der Soldat, den er umgebracht hatte. Weg mit ihm.
    Tiefer.
    Am Grunde ...
    Am Grunde wartete ein kleiner Junge, der spielen wollte. Er sah Vera von unten herauf mit großen Augen an und streckte schüchtern eine Hand aus, um sie zu berühren.
    Etwas Großes und Schweres fiel herab und schlug die Hand weg.
    Der Junge weinte.
    Worte fielen ihr ein, die Lubold gesagt hatte, als sie mit ihm im Foyer des Hyatt gesessen hatte.
    Halm wollte Lubold vernichten. Ich würde Lubold auch sehr gerne vernichten, aber ich kann es nicht.
    Die ganze Zeit über war dieser Junge dagewesen. Sie hatte ihn eingeladen, sie zu berühren, und er hatte es getan, bevor Lubold der Schlächter wieder die Kontrolle übernahm.

    Sie hatte sich täuschen lassen! Und doch wieder nicht. Als nichts mehr sie voneinander trennte als die dünne Schweißschicht zwischen ihren Körpern, hatte sie ihn erkannt, ohne ihn zu begreifen.
    Die ganze Zeit über ...
    Mißtrauen Sie den Bildern.
    Vera stutzte.
    Wovon hatte sie sich täuschen lassen? Von ihrem eigenen Peilsender, weil Lubold längst wußte, daß sie ihn überwachte? Von ihrer verdammten Elektronik?
    Die ganze Zeit über denkst du, etwas bewegt sich, aber es bewegt sich nicht. Die ganze Zeit über starrst du auf einen roten Punkt und hältst ihn für einen Menschen, weil er laut Programm einer sein müßte.
    Aber die Darstellung der Stadt ist nicht die Stadt, und das grüne Raster der Autobahnen sind keine Straßen.
    Und der rote Punkt ist ein BMW. Aber vielleicht nicht Lubold.
    Oder nicht mal ein BMW.
    Ein roter Punkt.
    Mehr nicht.
    Sie stöhnte auf. Es gab keinen Beweis, nichts, aber dennoch spürte sie, daß es nicht anders sein konnte.
    Lubold war immer noch in Köln.
    Und sie wußte auch, wo.

17.40 Uhr. Präsidium
    »Was soll das heißen, ihr habt ihn laufenlassen?« fragte Krantz entnervt.
    »Der Mann ist ein Kurier«, sagte die Stimme des Münchener Kommissars aus dem Telefon. »Wir hatten keine Handhabe, ihn festzuhalten.«
    »Und wenn er mit Lubold unter einer Decke steckt?«
    »Wir haben ihn verhört und zurückfahren lassen. Mehr konnten wir nicht machen. Es tut mir leid, aber dieser Mann ist einfach nur ein Bote. Er hat nicht das geringste mit dem Fall zu
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