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Die dunkle Seite des Mondes

Die dunkle Seite des Mondes

Titel: Die dunkle Seite des Mondes
Autoren: Martin Suter
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brannte, fiel ihr erst auf, als sie den Rauchgeruch bemerkte. Ihr Mann war, wie alle Bauern hier, feuerwehrpflichtig gewesen. Genauso hatte er gerochen, wenn er von einem Einsatz zurückkam. Sie mußte die Uniform jeweils tagelang auslüften, so gründlich hatte sich der Rauch im Stoff festgesetzt.
    Sie ging die zwei Stufen in die Vorratskammer hinunter. Der Geruch wurde stärker. Aber es war niemand da. Sie ging ein paar Schritte. Beim großen Speiseschrank blieb sie stehen. Der Geruch war noch durchdringender geworden. »Hallo?« rief sie.
    Jetzt sah sie, daß die Tür des Nußbaumschranks mit dem Geräucherten offenstand. Es mußte an ihrer Erkältung liegen, daß sie den Geruch von Geräuchertem mit dem Gestank von verrauchten Kleidern verwechselte.
    Sie machte das Licht aus und schloß die Tür.
    Blank stand im Dunkeln und lauschte. Aus der Küche drangen Geräusche. Er hatte die Frau gesehen, als sie die Tür zum Schrank schloß. Sie stand mit dem Rücken zu ihm. Er hatte sich die Stelle bereits ausgesucht, wo er das Messer hineinstoßen würde.
    Es blieben ihm noch knapp zehn Minuten, bis der Traktor zurückkam. Fünf davon würde er warten. Dann würde er hinausgehen. Wenn sie noch in der Küche war, hatte sie eben Pech gehabt.
    Der Kaffee war heiß. Emma Felder schenkte sich eine große Tasse voll und goß ein wenig Milch dazu. Sie setzte sich an den Küchentisch und blies in die Tasse.
    Der Novemberwind, der an diesem Morgen durch den Türspalt drang und den Steinboden kühlte, rettete Emma Felder das Leben. Sie spürte, wie die Kälte an ihren Beinen hochstieg, und dachte daran, wie leicht man sich in ihrem Alter eine Lungenentzündung holte. Sie nahm ihre Tasse und trug sie hinauf in ihr Zimmer.
    Blank hatte noch nicht die halbe Strecke zum Waldrand zurückgelegt, als er hörte, daß der Traktor näher kam. Er rannte mit dem schweren Rucksack bis zu den ersten Buchen. Kaum lag er in Deckung, da tauchte der Traktor auch schon auf. Der Bauer stellte ihn auf den Vorplatz und begann, den Gülleanhänger mit einem Schlauch abzuspritzen.
    Blank öffnete den Rucksack, schnitt sich ein kleines Stück Speck ab und aß es andächtig.
    Die Frau kam mit dem Kombi zurück. Sie wechselte ein paar Worte mit dem Mann. Beide lachten. Sie ging ins Haus. Kurz darauf folgte er ihr.
    Blank machte sich auf den Weg.
    Es gab eine Stelle, wo Blank nichts übrigblieb, als den Wald zu verlassen und ein Stück weit auf dem Weg zu gehen. Erst nach der Gabelung mit dem Wegweiser, auf dem »Rublifluh« stand, konnte er den Weg wieder verlassen.
    Kurz vor dieser Stelle kam ihm ein alter Bauer entgegen. Er trug einen schlaffen Militärrucksack und einen gelben Plastikkanister. Als sie auf gleicher Höhe waren, musterte er Blank mißtrauisch. »Guten Morgen«, brummte er. Blank nickte nur.
    Kurz vor der Gabelung schaute sich Blank um. Der Mann war stehengeblieben und schaute ihm nach. Blank hätte den Weg Richtung Rublifluh einschlagen sollen. Jetzt ging er Richtung Rotenstein. Als er sich das nächste Mal umwandte, sah er durch die Stämme, daß ihm der Mann immer noch nachschaute. Blank ging weiter.
    Der Weg führte aus dem Wald hinaus. Vom Waldrand aus sah Blank auf eine Mulde mit Feldern und Kirschbäumen. Dahinter begann ein Fichten-Tannenwald, der den ganzen Hügel bedeckte, bis er weit oben an eine senkrechte Felswand stieß. Bei den Kirschbäumen führte ein Sträßchen in den Wald. Zu einer Lichtung, die Blank von seinem Standort aus nicht einsehen konnte.
    Die Stelle kam Blank bekannt vor. Er suchte sie mit dem Feldstecher ab. Die Kirschbäume. Der Schuppen bei der Waldeinfahrt. Es war der Weg, der zum Fichtenhof führte. An der Felswand konnte er den Wasserfall ausmachen, der in die Lichtung mit dem Tipi stürzte.
    Blank ging zurück in den Wald und begann den weiten Umweg ins Tobel.
    Auf der Redaktion des Boulevardblattes waren dreiundsechzig Hinweise zu »Dr. Waldmensch« eingegangen, wie ihn der zuständige Redakteur Moor getauft hatte.
    Moor suchte sie nach Brauchbarem für die Story ab und gab sie dann weiter an Blaser. Das war Teil der Abmachung, die auch die feste Zusage beinhaltete, Blaser als Quelle nicht preiszugeben.
    »Dr. Waldmensch« war im ganzen Land gesehen worden. Die meisten Hinweise taugten nichts. Moor hatte die Geschichte mit geheimnisvollen Andeutungen und Interviews aus dem wenig ergiebigen Umfeld von Blank warmgehalten. Sein Prunkstück war bis jetzt Petra Decarli, Blanks ehemalige Sekretärin. Sie
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