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Die dunkle Seite des Mondes

Die dunkle Seite des Mondes

Titel: Die dunkle Seite des Mondes
Autoren: Martin Suter
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das Tobel vorzunehmen.
    Der frühe Einbruch der Dunkelheit zwang auch Blaser und Welti, die Suche abzubrechen. Sie hatten Blasers Opel beim Waldeingang abgestellt und waren zu Fuß zur Ruine des Fichtenhofs hinaufgestiegen.
    Sie war mit einem Stacheldrahtzaun umgeben, der an mehreren Stellen niedergedrückt war. Wahrscheinlich von Kindern, denen die Ruine als Abenteuerspielplatz diente.
    Ein Knöterich hatte den Brand überlebt und wucherte lieblich über die Holz- und Mauerreste, als ob er der Brandstätte ihren Schrecken nehmen wollte.
    Welti hatte die Wollmütze dabei, die Blank in seinem Versteck zurückgelassen hatte. Er ließ Rambo daran schnüffeln und nahm ihn an den langen Schweißriemen. Aber Rambo fand nichts, das wie die Mütze roch. Anstatt ungestüm in allen Himmelsrichtungen an der Leine zu zerren, ging er bei Fuß wie noch nie im Training.
    Sie nahmen den Weg, der durch den Wald hinaufführte. Eine knappe Stunde später erreichten sie die Lichtung.
    Das Tipi stand nicht mehr, aber die Schwitzhütte war noch einigermaßen intakt. Ihre Durchsuchung durch Rambo brachte zwei Weinflaschen und drei benützte Kondome zutage.
    Sie durchkämmten den umliegenden Wald etwas ziellos nach Verstecken. Welti bewies dabei mehr Engagement als Blaser, der froh war, daß es so früh dunkel wurde.
    Blank knetete aus Mehl, Wasser und etwas Salz einen Teig, rollte ihn zu einer Wurst und schlang sie in einer Spirale um einen Stock. Er hielt sie über die Glut und schaute zu, wie der Teig golden wurde. Ein Duft von frischem Brot begann sich in der Höhle auszubreiten.
    Er aß das Brot noch warm mit Speck. Dazu trank er Bachminzentee. Ein Festessen.
    In der Nacht stellte sich heraus, daß sein Körper diese kräftige Kost nicht mehr gewohnt war. Der Speck lag ihm auf, sein geblähter Bauch drückte ihm aufs Zwerchfell, sein Herz schlug schnell.
    Er versuchte an nichts zu denken. Aber immer wieder kam ihm der Bläuling in den Sinn. Stiel: hutfarben, 2–3 cm, schlank, gebrechlich. Es paßte auf den gelben Stiel, der sich blau verfärbt hatte. Er war ganz anders als die Stiele der Gelben Kraterelle. Die waren oben trichterförmig erweitert und bis zum Grund hohl.
    Er versuchte ruhig und gleichmäßig zu atmen. Doch dann ertappte er sich wieder, wie er den Atem anhielt und auf das nächste hohle Huhu des Waldkäuzchens wartete. Es kam ihm unheimlich vor in dieser Nacht.
    Aus dem Gesang der Vögel zu schließen, sollte es ein schöner Tag werden. Die Dämmerung begann früher als an den Tagen zuvor. Der fahle Himmel, der über den braun und schütter gewordenen Buchenkronen wieder sichtbar wurde, schien wolkenlos zu sein. Blank zog sich an, trank gezuckerten Tee und aß den Rest seines Stockbrotes.
    Er stellte sich auf die Plattform vor der Höhle und wartete, bis er die roten Samenmäntel an den nächsten Eiben erkennen konnte.
    Er zwang sich, nicht als erstes zum Platz zu stürmen, wo er die Kraterellen und den Stiel des Samthäubchens gefunden hatte. Dazu brauchte es keiner besonderen Willensanstrengung: Der Platz war bereits der dritte, wenn er seinen Rundgang im Westen begann.
    Als er sich ihm näherte, sah er es zwischen den zimtbraunen Eibenstämmen wieder blitzen. Er gab seine Zurückhaltung auf und legte die letzten Meter stolpernd und rennend zurück.
    Ein Grüppchen Kraterellen. Neun Stück. Und mitten unter ihnen, viel kleiner und graziler, zwei andere Pilzchen.
    Er pflückte sie mit spitzen Fingern und untersuchte sie: Hut: 7–9 mm, safrangelb, schleimig glänzend, spitz gebuckelt, gerieft. Lamellen: safrangelb, am Stiel frei. Stiel: hutfarben, 2–3 cm, schlank, gebrechlich. Fleisch: lamellenfarben, Geruch leicht unangenehm.
    Blank schaute zu, wie sich die beiden Pilze blau zu verfärben begannen.
    Im Tobel unten bellten Hunde. Er setzte das Fernglas an. Zwei Dachsbracken hatten eine Fährte gefunden. Ein scharfer Pfiff ertönte. Die Bracken ließen von ihrer Fährte ab und rannten zurück.
    Blank trug die beiden Pilzchen in der hohlen Hand zur Höhle zurück. Die Kraterellen ließ er stehen.
    Blaser hatte vorgehabt, den Wald über der Fichtenhof-Ruine auf eigene Faust abzusuchen. Welti hatte Dienst und konnte sich erst am nächsten Tag wieder an der Suche beteiligen. Blaser war nicht unglücklich darüber. Er hatte gestern manchmal das Gefühl gehabt, Rambo sei eher hinderlich als nützlich.
    Aber ein sachdienlicher Hinweis zwang ihn, seine Pläne zu ändern.
    Auf dem Weg zur Ruine fuhr er beim Posten vorbei.
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