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Die dunkle Seite des Mondes

Die dunkle Seite des Mondes

Titel: Die dunkle Seite des Mondes
Autoren: Martin Suter
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der mit ein paar Handgriffen in ein Bett verwandelt worden war.
    Er hatte die letzten Nächte wenig geschlafen. Vor drei Tagen um sechs Uhr früh waren sie gestartet. Er hatte am Vorabend einen Anruf aus Estland bekommen, es sei Schnee gefallen. Kurz nach neun waren sie in Tallinn gelandet. Der Jagdführer hatte ihn am Flughafen abgeholt und direkt ins Revier gefahren. Noch am gleichen Abend zeigte er ihm die Luchsspur im frischen Schnee.
    Die Nacht verbrachten sie in einer zugigen Jagdhütte, deren Petroleumofen mehr stank als heizte. Ganz in der Nähe trieb sich ein Rudel Wölfe herum, deren Heulen ihn immer wieder aus seinem leichten Schlaf riß.
    In der Nacht war noch mehr Schnee gefallen und hatte die Spur des Luchses wieder verschluckt. Es wurde bereits dunkel, als sie auf eine neue stießen. Sie mußten zurück.
    Dafür hatten sie am nächsten Tag Glück. Der Luchs war ihnen entgegengekommen. Schon auf halbem Weg trafen sie auf seine Spur.
    Am Nachmittag überraschten sie ihn. Ein ausgewachsenes Männchen, bestimmt eins dreißig lang. Es hatte ein Reh gerissen und war dabei, es zu fressen. Es ließ dem Jäger viel Zeit zum Zielen.
    Jetzt, knapp vierundzwanzig Stunden später, lag der Luchs gut verpackt im Laderaum des Learjets, auf dem Weg zum Kühlraum des Präparators.
    Der Mann, dem er das zu verdanken hatte, erwachte jetzt. Die Maschine hatte ihren Landeanflug begonnen und durchflog ein paar Turbulenzen. Er wartete, bis sie vorbei waren und ging in den Toilettenraum. Vor dem Spiegel reinigte er sich die Zähne mit Zahnseide. Eine alte Gewohnheit, die dazu geführt hatte, daß er noch alle zweiunddreißig besaß. Jeder Zahnhals war fest umschlossen von gut durchblutetem elastischem Zahnfleisch.
    Er war auch sonst gut in Form für seine dreiundsechzig Jahre. Achtundfünfzig Kilo, das gleiche Gewicht wie bei der Musterung, ideal für seinen feingliedrigen Bau und seine Körpergröße von einem Meter einundsechzig. Er besaß einen Ruhepuls von sechzig und einen Blutdruck von hundertfünfundzwanzig auf fünfundsiebzig. Seine blaßgrünen Augen brauchten nur zum Lesen eine Brille, sein weißes, kurzgeschorenes Haar war noch dicht.
    Er spritzte etwas Rasierwasser in die Hand und tätschelte es sich ins hagere Gesicht. Dazu machte er eine Grimasse, die wie ein Lächeln aussah.
    Vielleicht war es ja auch ein Lächeln. Er fühlte sich gut. Das war zwar nicht der erste Luchs in seinem Leben, aber einen Luchs erlegt zu haben war immer wieder ein gutes Gefühl. Auch wenn es nur in Estland war, wo Luchse noch nicht geschützt waren.
    Als er zu seinem Platz zurückkam, war der Kopilot dabei, das Bett in einen Sitz zurückzuverwandeln. »Als Sie schliefen, hat ein Hans-Rudolf Nauer angerufen. Er bittet um Ihren Rückruf.«
    Der Passagier nahm den Hörer von der Konsole neben dem Sitz und stellte eine Nummer ein. Er war stolz auf sein Zahlengedächtnis. Er kannte die meisten Nummern seiner Geschäftsbeziehungen auswendig.
    »Verbinden Sie mich bitte mit Herrn Nauer«, sagte er, als sich die Gegenstelle meldete. »Hier spricht Ott.«
    Die Maschine flog über ein Wäldchen und eine Kiesgrube und setzte zur Landung an.
    Über jedem der sechs Schaufenster von Evelyne Vogts Laden stand in Lettern aus poliertem Stahl »Collection V.«. Der Eingang wurde von einem Sicherheitsmann bewacht. Drinnen herrschte großes Gedränge. Die Eröffnung von Evelynes Präsentation einer Sammlung seltener Bauhaus-Originale war ein Erfolg.
    Urs Blank schlängelte sich lächelnd und nickend und händeschüttelnd und Küßchen vortäuschend zwischen den Vernissagebesuchern hindurch. Fast alle waren schwarz gekleidet. Er fühlte sich wie auf der Versammlung eines Geheimordens.
    Evelyne stand neben dem Büffet und unterhielt sich mit zwei Männern. Beide waren kahlgeschoren. Beim einen sah es aus, als hätte die Natur den größeren Teil zur Frisur beigetragen. Evelyne stellte die beiden mit der Feststellung vor: »Du kennst ja Niklaus Halter und Luc Hafner.«
    Blank kannte beide. Sie gehörten zum erweiterten Umfeld der neuen Architekturschule des Landes, die zur Zeit international Furore machte. Genaugenommen waren es vor allem sie selbst, die dieses Umfeld um Halter + Hafner erweiterten. »Ich erwähnte gerade«, sagte Hafner, »wie trostlos es ist, daß das, was wir als moderne Möbel bezeichnen, praktisch aus den zwanziger Jahren stammt.«
    Das überrascht mich nicht, daß du Schafskopf den in diesen Räumen meistgehörten Satz äußerst, als
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