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Die dunkle Seite des Mondes

Die dunkle Seite des Mondes

Titel: Die dunkle Seite des Mondes
Autoren: Martin Suter
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es nichts ausmachte, sich für etwas Geld in ein paar Ketten legen zu lassen. Ott war auch kein Anhänger der Freikörperkultur. Daß er nackt war, hatte nur einen einzigen Grund: In seinem eigenen Hallenbad schwamm er seine Längen so, wie es ihm paßte.
    Am nächsten Morgen, als er in seinen schwarzen Jaguar stieg, spürte Urs Blank einen Druck über den Brauen. Erst als er in die Tiefgarage der Kanzlei einbog, wurde ihm klar, daß dieser die Folge des dritten Armagnac sein mußte. Auch was seinen Alkoholkonsum betraf, hatte er sich in der Hand. Sein letzter Kater lag beinahe noch weiter zurück als sein letzter Waldspaziergang.
    In der Kanzlei erwartete ihn Christoph Gerber, sein Assistent. Gerber war Anfang dreißig und hatte vor einem Jahr seine Doktorarbeit abgeschlossen. Er war fleißig, billig und sich für keine Arbeit zu schade. Er ähnelte in vielen Belangen Urs Blank, als der vor etwas über zehn Jahren in der Kanzlei anfing. Das gefiel Urs normalerweise an Gerber. Heute ging es ihm auf die Nerven.
    »Die Partnersitzung ist um eine halbe Stunde vorverlegt, Herr Dr. von Berg hat einen Gerichtstermin«, teilte Gerber ihm mit. »Und Dr. Fluris Sekretärin hat schon dreimal angerufen. Es sei sehr dringend. Sie sollen zurückrufen in der gleichen Sekunde, in der Sie ins Büro kommen.«
    »Was will das Arschloch jetzt schon wieder?«
    Gerber schaute Blank erschrocken an.
    »Haben Sie noch nie zu einem Klienten Arschloch gesagt?«
    Gerber schüttelte den Kopf. »Sie schon?«
    »Ich bin drauf und dran.«
    Die Telefonistin kam mit einem Fax herein. Es stammte von Fluri und enthielt den nach dessen Vorstellungen abgeänderten Pressetext. »Ich soll Ihnen das auf den Schreibtisch legen und Sie dann mit ihm verbinden.«
    »Das werden Sie nicht tun.«
    »Und was sage ich ihm?«
    »Er soll mich am Arsch lecken.«
    Die Telefonistin lachte. »Ich hätte große Lust, ihm das zu sagen.«
    »Tun Sie sich keinen Zwang an.«
    Als sie draußen war, fragte Gerber besorgt: »Und wenn sie es sagt?«
    »Bekommt sie eine Lohnerhöhung.«
    Blanks Partner waren alle um die Sechzig. Sie betrachteten es als ihre Hauptaufgabe, das Beziehungsnetz der Kanzlei zu pflegen und auszubauen.
    Dr. Geiger konzentrierte sich auf die militärischen Verbindungen. Er war ein hoher Milizoffizier in der Militärjustiz gewesen.
    Dr. Minders Gebiet war die akademische Klientel. Er war seit Jahren Privatdozent an der Handelshochschule.
    Dr. von Berg kümmerte sich um die übrigen. Er spielte Golf.
    Die Partnersitzung diente nicht so sehr der Erläuterung hängiger Fälle als der Feinabstimmung ihrer Akquisitionsaktivitäten. Es lag in der Natur ihrer Beziehungsnetze, daß diese sich an vielen Stellen überschnitten. Natürlich waren diese wöchentlichen Zusammenkünfte auch eine hervorragende Gelegenheit für den Austausch von Klatsch, Hintergrundinformationen und Indiskretionen.
    »Kannst du bestätigen, daß es Ott ist, der CHARADE die Mittel zur Verfügung stellt, mit denen diese die ELEGANTSA schluckt?« Urs Blanks Frage war an Geiger gerichtet, der einen befreundeten Auditor im Verwaltungsrat von CHARADE sitzen hatte.
    »Beschwören kann ich es nicht«, bestätigte Geiger.
    Blank blickte in die Runde. »Hat jemand eine Ahnung weshalb?«
    Minder meldete sich. »Er will die ELEGANTSA als Mitgift. CHARADE hat sich übernommen. In einem Jahr fällt sie ihm in den Schoß. In spätestens zwei verkauft er sie an UNIVERSAL TEXTILE .«
    »Abgesehen davon«, ergänzte von Berg, »haßt Pius Ott den alten Fluri.«
    »Das kann ich ihm allerdings nachfühlen«, brummte Urs Blank.
    Blank war zum Mittagessen mit Alfred Wenger verabredet. Der Mittwoch war ihr Jour fixe. Alfred war ein alter Schulfreund, der einzige, mit dem Blank über all die Jahre den Kontakt aufrechterhalten hatte. Sie hatten zusammen das Gymnasium und die Universität besucht. Obwohl – oder vielleicht weil ihre Interessen weit auseinanderlagen, hatten sie sich während der ganzen Studienzeit regelmäßig getroffen. Selbst als sich Alfred auf die Psychiatrie und Urs auf die Wirtschaft konzentrierte – ein Gebiet, das der andere jeweils für absolut überflüssig hielt –, tat das ihrer Freundschaft keinen Abbruch. Sofern sie nicht gerade im Ausland studierten, versuchten sie, ihren fixen Tag einzuhalten. Das einzige, was sich mit dem wachsenden Erfolg der beiden änderte, war die Kategorie des Restaurants. Seit ein paar Jahren trafen sie sich im ›Goldenen‹, wie die Habitués den
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