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Die dunkle Seite des Mondes

Die dunkle Seite des Mondes

Titel: Die dunkle Seite des Mondes
Autoren: Martin Suter
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gelebt haben mußte. Sie teilte die Wohnung mit einer Freundin, die in einem Jeansladen arbeitete. Im Moment hatte sie keinen festen Freund.
    Jetzt fing es auch noch an zu regnen. Lucille beeilte sich, zum Teestand zu kommen, bevor der Regen stärker wurde. Als sie mit ihrem Zimttee zurückkam, stand ein Mann vor ihrem Stand. Der vom letzten Mittwoch.
    »Ich hätte einen Halter kaufen sollen«, erklärte er. »Welchen empfehlen Sie?«
    »Bei diesem Wetter den teuersten.« Der Mann sah aus, als hätte er Humor.
    »Welcher ist das?«
    Sie zeigte ihm einen in der Form eines kleinen Holzskis mit eingelegten Messingsternen.
    »Und der zweitteuerste?« Der Mann sah nicht aus, als ob es ihm auf fünfundzwanzig Franken mehr oder weniger ankam. Aber sie zeigte auf ein rundes verziertes Messingmodell.
    »Wäre Ihnen auch gedient, wenn ich zwei von den Zweitteuersten nehme? Sie gefallen mir besser.«
    »Sehr gedient.« Lucille lächelte. Er war nicht ihre Welt, aber er gefiel ihr. Wenn sie sich ein paar Zentimeter Haare dazu- und ein paar Jahre wegdachte. »Suchen Sie sich zwei aus.«
    »Könnten nicht Sie das für mich tun? Ich weiß nicht, worauf man achten muß.«
    Lucille suchte zwei Stäbchenhalter aus und verpackte sie in weinrotes Seidenpapier. »Stäbchen haben Sie noch genug?«
    »Ein Päckchen könnte nicht schaden. Ich hatte Sandlewood. «
    Sie legte die Stäbchen neben die Päckchen. »Kennen Sie Superior Tibet Incense ?«
    Urs schüttelte den Kopf.
    »Das habe ich am liebsten.«
    »Dann möchte ich es versuchen.«
    Lucille suchte eine Packung heraus. »Anstatt oder zusätzlich?«
    Urs mußte lachen. »Zusätzlich.«
    »Ein Seidentuch brauchen Sie nicht?«
    »Ich trage Krawatten.«
    »Für Ihre Frau, dachte ich.«
    »Ich habe keine Frau.«
    Auch Evelyne Vogt hatte ihren Jour fixe. Sie traf sich mit ihrer Freundin Ruth Zopp zum Lunch. Die Restaurants wechselten, der Tag blieb immer der gleiche: jeder zweite Freitag.
    Diesmal hatten sie sich für eine neueröffnete Sushi-Bar entschieden. Ruth Zopp war über alles auf dem laufenden, was in der Stadt kulinarisch, künstlerisch und gesellschaftlich los war. Sie war eine Tochter aus reichem Haus und mit einem Mann aus ihren Kreisen verheiratet. Sie arbeitete nicht, aber ihr Filofax war vollgekritzelt mit Terminen und platzte aus den Nähten vor Visitenkärtchen und Freßzetteln. Sie liebte es, Leute zusammenzubringen, ihre Beziehungen spielen zu lassen und die Fäden zu ziehen. Evelyne hatte ihr viele Kunden zu verdanken.
    »Laß uns an ein Tischchen sitzen. Sushi- barmen sind immer so geschwätzig«, raunte sie Evelyne zu, als sie zu ihr an die Bar trat. Sie hatte zwanzig Minuten Verspätung, wenig für ihre Verhältnisse.
    Ruth Zopp war eine attraktive Frau. Ihre Kleidung und ihr Schmuck waren immer spektakulär und ihre Mimik immer in Bewegung. Evelyne kannte sie seit vielen Jahren. Aber noch immer hätte sie nicht sagen können, ob Ruth eigentlich auch eine schöne Frau war.
    Sie setzten sich also an ein Tischchen und bestellten gemischtes Sushi – Inari, Chirashi, Nigiri und Norimaki. Ruth beherrschte ihre Stäbchen mit atemberaubender Beiläufigkeit. Sie fischte sich die Häppchen, tunkte sie in die Soja-Wasabi-Sauce und redete dazu, ohne ihre Freundin aus den Augen zu lassen.
    Es dauerte eine Weile, bis Evelyne zu Wort kam. »Weißt du, was das Neuste ist? Urs brennt Räucherstäbchen.«
    »Urs und Räucherstäbchen?«
    »Am Abend riecht das ganze Haus wie ein Aschram. Und er: wie weggetreten.«
    »Vielleicht meditiert er.«
    »Ich habe ihn gefragt. Er behauptet, er rieche es einfach gerne.«
    »Kommt auf die Sorte an.«
    »Sandelholz. Und etwas Tibetanisches.«
    »Tibetanisch? Dann meditiert er doch. Wäre nicht der einzige. Geiser hat auch angefangen. Und Grafs fliegen jeden Monat nach New York zu ihrem Rinpoche. «
    »Aber weshalb meditiert er ohne mich?«
    »Vielleicht ist er sich noch zu wenig sicher. Vielleicht ist es noch zu persönlich. Urs ist ja nicht gerade der meditative Typ.«
    Evelyne legte ihr letztes Norimaki auf den Teller zurück. »Meditieren tut man nur, wenn man Probleme hat.«
    »Vielleicht hat er.«
    »Wenn ich einen Menschen kenne, der keine Probleme zu haben braucht, dann Urs.«
    »Vielleicht Midlife-crisis.«
    »Seine Midlife-crisis war ich.«
    »Bedeutende Männer haben mehr als eine Midlife-crisis.«
    »Du glaubst, es steckt eine Frau dahinter.«
    »Wenn Männer sich verändern, ist das nicht der abwegigste Gedanke.«
    Einer der ganz
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