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Die dunkle Seite des Mondes

Die dunkle Seite des Mondes

Titel: Die dunkle Seite des Mondes
Autoren: Martin Suter
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wachte ich eines Morgens auf und hatte das Gefühl, mein Leben sei ein einziger riesiger Fehler. Es gab keinen Grund, keinen äußeren Anlaß, alles lief nach Wunsch, es war der Anfang unserer großen Zeit.«
    Von Berg goß Bourbon über die Eiswürfel. »Ich dachte, das geht vorbei. Eine Laune. Mit dem falschen Bein aufgestanden. Aber es ging nicht vorbei. Am nächsten Tag nicht, nach einer Woche nicht, nach einem Monat nicht. Ich wußte: Alles, was du bisher gemacht hast, hast du falsch gemacht.«
    »Und was hast du dagegen unternommen?«
    »Nichts. Es gibt nichts, was man selbst dagegen tun kann.« Von Berg hob das Glas und trank einen Schluck. Urs nippte nur ein wenig. »Erinnerst du dich an Annette Weber?«
    »Die Praktikantin?« Blank erinnerte sich. Annette Weber hatte damals in der Kanzlei viel Aufsehen erregt. Sie hatte einigen unter ihnen den Kopf verdreht und keinen einzigen erhört. Es hieß, sie hätte eine feste, geheime Liaison mit einem verheirateten Mann. Nach ihrem Praktikum war sie von der Bildfläche verschwunden.
    » Sie tat etwas dagegen.«
    Urs verstand nicht.
    »Gegen mein Gefühl, daß ich im falschen Film sei«, erklärte von Berg.
    Jetzt begriff Urs. »Du warst die geheime Liaison.«
    Von Berg lächelte.
    »Verstehe.«
    »Gut.«
    »Und weshalb erzählst du mir das?«
    »Einfach so. – Und weil du nichts von Huwylers Mandat erwähnt hast.«
    »Wie machen Sie das eigentlich mit dem Mittagessen?« Blank hatte ein Seidentuch gekauft und eine neue Sorte Räucherstäbchen.
    »Wenn mir jemand auf den Stand aufpaßt, esse ich etwas Kleines in der Nähe.«
    »Paßt heute jemand auf?«
    »Ist das ein Angebot?«
    Urs nickte. Lucille musterte ihn von oben bis unten. »Ich weiß nicht, ob Sie dazu richtig angezogen sind.«
    »Um mit Ihnen etwas zu essen?«
    Sie lachte. »Ach so. Ich dachte, Sie wollten auf den Stand aufpassen.«
    Einen Moment lang spielte er mit dem Gedanken, darauf einzugehen. Aber dann sagte er doch: »Nein, ich dachte, falls jemand so lange auf den Stand aufpaßt, könnten wir zusammen eine Kleinigkeit essen gehen.«
    »Heute habe ich leider niemanden, der aufpaßt.«
    »Schade. Vielleicht ein andermal.«
    »Vielleicht.«
    Blank steckte seine beiden Päckchen in die Manteltasche und wollte sich verabschieden.
    »Wenn Sie Lust haben, könnten Sie uns etwas holen, und wir essen es hier am Stand.«
    »Was, zum Beispiel?«
    »Egal, einfach kein Fleisch.«
    Urs Blank kannte ein Feinkostgeschäft in der Nähe. Dort ließ er sich sechs Brötchen machen. Zwei mit Wildlachs, zwei mit Mozzarella und Tomate und zwei, warum nicht?, mit Kaviar. Dazu kaufte er zwei Perrier und, für alle Fälle, eine halbe Flasche Meursault. Auf dem Weg zurück zum Park fiel ihm Alfred Wenger ein. Er rief im Goldenen an und ließ ausrichten, es sei ihm etwas Unerwartetes dazwischengekommen. Etwas Unerwartetes? dachte er, als er lächelnd sein Handy in die Brusttasche zurücksteckte.
    »Ist es okay, wenn ich die beiden mit Mozzarella nehme?« fragte Lucille, als Blank die Brötchen ausgepackt hatte. »Ich esse kein Fleisch.«
    »Das ist Fisch.«
    »Nichts, was Augen hatte.«
    »Und Kaviar? Kaviar hatte keine Augen. Kaviar ist wie Eier. Essen Sie auch keine Eier?«
    »Eier werden den Hühnern nicht aus dem Bauch herausgeschnitten.«
    Blank setzte sich neben Lucille auf einen Hocker. »Aber Wein trinken Sie?« Er stellte das Fläschchen, das er sich beim Traiteur hatte entkorken lassen, auf den Verkaufstisch. Sie nickte.
    Das schöne Wetter lockte viele Angestellte der umliegenden Banken, Kanzleien und Büros in den Park. Ihre Mahlzeit wurde mehrmals durch Kunden unterbrochen, die sich wohl wunderten über den Herrn im Busineßanzug, der neben Lucille Lachs- und Kaviarbrötchen verzehrte.
    Blank hoffte nur, daß ihn niemand erkannte.
    Christoph Gerber erzählte der Telefonistin gerade, seine Freundin habe Urs Blank auf dem Flohmarkt am Stand eines Hippiemädchens Kanapees essen sehen, als Dr. Fluris Sekretärin anrief. Man möge Dr. Blank mitteilen, daß Dr. Fluri den Sitzungstermin absagen müsse. Bei der Überprüfung des Vertragstextes mit seinen Juristen seien Fragen aufgetaucht, die er mit Dr. Blank abklären wolle. Er solle am Donnerstagmorgen um sieben Uhr fünfzehn bei ihm im Büro vorbeikommen. Ausweichtermin: gleicher Tag, eine Stunde früher.
    Christoph Gerber übernahm es, Blank die Nachricht zu überbringen. »Um sieben Uhr fünfzehn oder eine Stunde früher?« wiederholte Urs fassungslos.
    »Ein
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