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Die dunkle Seite des Mondes

Die dunkle Seite des Mondes

Titel: Die dunkle Seite des Mondes
Autoren: Martin Suter
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aufstockte.
    Das Rubliholz lag in einem Revier, das ein örtlicher Textilfabrikant gepachtet hatte. Es war kein Problem für Pius Ott, dort als Jagdgast zugelassen zu werden. Die ELEGANTSA war einer der wichtigeren Kunden des Fabrikanten.
    Seit ein paar Tagen fuhr Ott regelmäßig ins Revier und lief mit seinen beiden Bracken systematisch die Parzellen ab, die er sich auf der Karte eingezeichnet hatte. Er fischte im trüben. Die Vermutung, daß sich Blank in der Gegend befinden könnte, beruhte auf der Hoffnung, daß er tatsächlich auf der Suche nach dem Safrangelben Samthäubchen war und – wie er – herausgefunden hatte, daß es im Rubliholz vorkam oder vorgekommen war. Das war eine schwache Basis für seine zeit- und kräfteraubende Rastersuche in diesem oft steilen, unzugänglichen Wald. Aber es gab eine bessere Grundlage: seinen Instinkt. Der sagte ihm, daß Blank hierherkommen würde oder schon hier war. Auf seinen Jagdinstinkt hatte er sich stets verlassen können.
    Er erreichte die östliche Grenze seiner heutigen Suchparzelle. Ein paar Meter weiter verzweigte sich ein Waldweg. Ott ging zum Wegweiser und verglich die Aufschriften mit seiner Karte. Eine lautete »Rublifluh«.
    Ott faltete die Karte zusammen. Es hatte zu regnen begonnen.
    Der Regen trommelte auf das Blechvordach vor dem Bürofenster. Welti saß auf dem unbequemen Besucherstuhl vor Blasers Schreibtisch. Er war in Zivil. Sein Jackett war naß von den paar Metern vom Parkplatz zum Büro.
    Auf dem Schreibtisch lag ein Farbfoto von Urs Blank. Die Bildbearbeitungsspezialistin der Stadtpolizei hatte ihm einen täuschend echten Bart und halblanges Haar verpaßt. Die Zeugen in Rimmeln und der Kollege von der Kantonspolizei, der Blank kurz gesehen hatte, hatten ihn sofort wiedererkannt.
    »Und weshalb darf das Bild nicht veröffentlicht werden?« erkundigte sich Blaser.
    »Die offizielle Begründung lautet ›Verhältnismäßigkeit‹. Die Medien seien nur in Fällen ab einer gewissen Prioritätsstufe einzusetzen, sonst nütze sich das Instrument ab.«
    »Ach was, die Leute spielen doch gern Polizist.«
    »Willst du den inoffiziellen Grund wissen?« Weltis weißes Gesicht war rot vor Wut. »Jemand hat oben interveniert. Jemand, der es nur ungern sähe, wenn nach dem Partner einer der vornehmeren Anwaltskanzleien der Stadt in den Zeitungen gefahndet würde. Unsere Chefs haben die Hunde zurückgepfiffen und den Fall zurückgestuft.«
    »Was soll ich jetzt tun?« wollte Blaser wissen.
    »Ihr sucht ihn wegen einer Mordsache. Du kannst die Medien einschalten.«
    Blaser lachte. »Korporal Blaser Rolf aus Dellikon schaltet die internationalen Medien ein.«
    Wenn es nicht so ausdauernd geregnet hätte, hätte er es dabei bewenden lassen. Aber das Wetter zwang ihn, im Büro auszuharren und sich Weltis Tirade auf die da oben anzuhören. So sagte er schließlich: »Also gut, laß mir das Bild da.«
    Welti bedankte sich und fuhr zurück in die Stadt. Blaser machte sich auf den Weg nach Hause. Er hoffte, der Regen würde noch eine Weile andauern. Er saß gerne mit seiner Frau auf dem Sofa vor dem Fernseher, wenn es draußen regnete.
    Ein Bündel Fichtenwurzeln, das sich vom Felsband in den Eingang krümmte, wirkte wie ein Abflußrohr, das den Regen nach innen leitete. Aber nachdem Blank sie mit der Taschensäge entfernt hatte, war die Höhle regentauglich.
    Er legte Holz auf das Feuer und schaute zu, wie die Flammen in den Regenschnüren vor dem Eingang reflektierten. Wie Kerzen in den Silberfäden am Christbaum.
    Es roch nach Rauch und Fisch und Moos und nassem Buchenlaub. Er lag im Trockenen, und ihm war warm. Draußen tropfte, sickerte, troff und rieselte der Regen auf die Eiben, mit denen nach Regenfällen manchmal ein Safrangelbes Samthäubchen eine kurze Lebensgemeinschaft einging.
    Als Blaser wieder ins Büro kam, hatte es aufgehört zu regnen, aber die Wolken hingen tief und schwer. Es konnte jederzeit wieder losgehen.
    Auf seinem Schreibtisch lag immer noch Blanks Fahndungsfoto. Er rief den Polizeisprecher in der Kantonshauptstadt an und verabredete sich mit ihm. »Ich habe da eine Pressesache, Felix«, sagte er nur.
    Der Polizeisprecher hatte Spaß an der Aufgabe. Ein gutes Bild und eine gute Geschichte. Es kam nicht allzuoft vor, daß er der Presse etwas zu bieten hatte.
    Auf dem Rückweg fiel Blaser ein Dodge Adventure Pickup auf. Ein Wagen, den man nicht oft sah. Es gab nur ein paar auf amerikanische Geländefahrzeuge spezialisierte Importeure, die
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