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Die dunkle Seite des Mondes

Die dunkle Seite des Mondes

Titel: Die dunkle Seite des Mondes
Autoren: Martin Suter
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zwitscherte es, alles freute sich über den geschenkten Spätsommertag mitten im Herbst. Nur Urs Blank hoffte auf Regen.
    Er hatte in den letzten Tagen immer wieder systematisch die Umgebung der Eiben abgesucht und mitansehen müssen, wie die tiefstehende Sonne von der Seite in die steilen Hänge schien und den Boden austrocknete. Für die meisten Pilzarten war die Saison vorbei. Wenn es nicht bald regnete, würden auch die, die bis in den November hinein wuchsen, sich nicht mehr zeigen.
    Blank hatte die Trockenheit genutzt und sich einen Holzvorrat angelegt. Im Schutz von Felsvorsprüngen und Einbuchtungen in der Nagelfluh hatte er getarnte Holzlager errichtet. Seine Höhle war bis zur Hälfte gefüllt mit sprödem Reisig und Fallholz in allen Größen. Seine Feuerstelle befand sich zuhinterst in der Höhle. Abends, bevor er sich schlafen legte, entfachte er ein Feuer aus trockenem Holz, dessen kaum sichtbarer Rauch an der Höhlendecke entlang zum Ausgang abzog. Die Wärme des Feuers reflektierte er mit der Überlebensfolie, die wie ein Vorhang vor dem Ausgang hing. So erwärmte sich die Höhle rasch und hielt die ganze Nacht über eine angenehme Temperatur.
    Tagsüber hielt er eine Glut am Leben. Zur Sicherheit auch in einem Glutgefäß. Er hatte es sich aus Lehm gebrannt, von dem es am Bach unten reichlich gab. Darin, eingepackt in trockenem Moos, bewahrte er ein paar Glutstückchen auf. So hielten sie sich mehrere Tage.
    Bis jetzt war es ihm auf seinen Erkundungsgängen nicht gelungen herauszufinden, wo er sich befand. Das Tobel ging im Nordosten in einen Tannen-Buchenwald über. Im Süden schloß es an einen Buchenwald, der sich rasch zu einem übersichtlichen Hallenwald öffnete. Kein Jungwuchs und keine Sträucher boten dort Deckung.
    Wie es im Westen des Tobels aussah, wußte Blank. Von dort war er gekommen. Kleine Flächen von Misch- und Nutzwald, unterbrochen von Feldern und Höfen, zerschnitten von Forst- und Wanderwegen.
    Falls einer dieser Wälder das Rubliholz war, dann am ehesten der Tannen-Buchenwald im Nordosten. Dort hatte er auch vereinzelte Eiben gefunden.
    Blank saß auf der kleinen Plattform vor der Höhle. Er verschnürte das Ende eines Bündels junger Äste und drapierte sie rund um zwei Reifen aus biegsamen Ruten. Er band die Äste in gleichmäßigen Abständen fest. In ihre Zwischenräume flocht er grüne Fichtenzweige. So entstand ein länglicher Korb. An die Äste seines offenen Endes band er einen Trichter aus Zweigen, die sich an der engen Stelle kreuzten. Seine Handgriffe verrieten eine gewisse Übung. Es war bereits die vierte Reuse, die Blank herstellte.
    Er trug sie zum Bach hinunter und legte sie an einer engen Stelle aus. Er verengte sie zusätzlich mit Steinen, bis die Fischfalle der einzige Durchgang war.
    Seine knappen Vorräte gingen zur Neige, und die Nahrungssuche war schwierig. Die Zeit der Wildfrüchte war vorbei, für Pilze war es zu trocken, und einen Kaninchenbau hatte er bisher nicht gefunden. Gleich am ersten Tag waren ihm zwei Forellen in die Reuse gegangen. Er hatte eine gebraten und gleich gegessen, die andere hatte er filetiert und neben der Glut getrocknet, für härtere Zeiten.
    Die härteren Zeiten hatten sich bereits am übernächsten Tag eingestellt. Seine Reuse war leer geblieben. Er hatte eine zweite, eine dritte und jetzt sogar eine vierte gebaut.
    Jetzt ging er die Böschung entlang bachaufwärts und kontrollierte die drei anderen. Als er die zweite aus dem Wasser hob, zappelte darin eine Forelle. Er klappte sein Jagdmesser auf und schob den Arm in die Öffnung. Als er den glitschigen, wild um sich schlagenden Fisch fest im Griff hatte, führte er das Messer durch die Maschen der Reuse und trennte ihm das Rückenmark durch.
    Er führte mit der Messerspitze einen sauberen Schnitt vom After bis kurz hinter die Kiemen, nahm die Forelle aus und wusch sie im Bach. Die Eingeweide verscharrte er an der Böschung.
    Die dritte Reuse war leer. Er kletterte zur Höhle zurück, filetierte den Fisch und zog die Filets auf einen dünnen Spieß auf. Kopf, Schwanz, Haut und Flossen legte er in einen Topf und füllte ihn mit Wasser aus dem Wassersack. Er legte Reisig auf die Glut, blies das Feuer an und stellte den Topf darauf. Er hoffte, daß die Haut genug Fett enthielt, um seiner Fischsuppe etwas Substanz zu verleihen. Sein Speisefett war bis auf ein kleines Restchen aufgebraucht. Salz besaß er auch fast keines mehr.
    Es wurde höchste Zeit, daß er seine Vorräte
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