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Die dunkle Macht des Mondes

Die dunkle Macht des Mondes

Titel: Die dunkle Macht des Mondes
Autoren: Susan Krinard
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Gesicht war von tiefen Falten durchzogen, seiner Nase war anzusehen, dass sie schon an mehreren Stellen gebrochen gewesen war, und in seinen Augen stand diese gewisse sanftmütige Unschuld, die zu einer bestimmten Sorte Trunkenbold gehört.
    “Mein Name is’ Walter”, sagte er und tippte sich gegen seinen mottenzerfressenen Filzhut. “Walter Brenner. Wir bekommen hier nicht oft Damenbesuch. Nicht, dass Sie glauben, wir hätten kein Benehmen.”
    “Freut mich, Sie kennenzulernen, Walter”, sagte Gwen und streckte ihm ihre Hand entgegen, “ich bin Gwen Murphy.”
    “Hab ich schon gehört.” Seine Handfläche war trocken und pergamentartig. “Sie haben ein bisschen im Fluss geplanscht, wie?”
    “Das reinste Vollbad.” Sie verließ an seiner Seite das Lagerhaus. “Ich hatte Glück, dass Mr. Black zur Stelle war.”
    Er neigte verschwörerisch den Kopf. “Dorian ist nicht immer so, wissen Sie, so aufbrausend und so. Das ist nur seine Laune … Kommt und geht, regelmäßig, alle paar Wochen, so um den Dreh. Am besten lässt man ihn in Ruhe, bis es vorbei ist.”
    “Ich verstehe. Kennen Sie Dorian schon lange?”
    “Ungefähr so lange, wie er am Fluss ist. Drei Monate oder so.”
    “Wissen Sie irgendetwas über seine Vergangenheit?”
    “Er hat was Schreckliches durchgemacht, Miss Gwen. Ich weiß nicht was. Er redet nicht drüber.”
    “Den Krieg hat er nie erwähnt?”
    “Ne. Könnte sein, dass es das ist. Trotzdem, ich mach’ mir Sorgen um ihn. Er geht nur nachts raus. Verkriecht sich hier tagsüber wie die Ratten. Und isst kaum. Er bringt mir was, nimmt aber selber nur ein paar Brocken.”
    Gwen dachte an die Kargheit von Dorians “Zimmer”. Dort war nichts Essbares zu sehen gewesen, nicht einmal die Brocken, von denen Walter gesprochen hatte.
    “Sie sind sein Freund”, sagte sie, “Sie wollen ihm doch helfen?”
    “Klar. Er hat sich um mich gekümmert, als ich krank war. Mein Herz, wissen Sie. Macht ab und zu schlapp. Weiß nicht, was ich ohne Dory anstellen sollte.”
    Gwen beschloss, es mit einer etwas riskanteren Frage zu wagen. “Haben Sie die Leichen gesehen, Walter?”
    Der alte Mann schüttelte sich. “Hab’ von ihnen gehört. Aber
er
hat sie gesehen. Hat’s noch schlimmer gemacht, als er das nächste Mal einen von seinen Anfällen hatte.” Er berührte vorsichtig Gwens Arm. “Er ist kein schlechter Kerl. Das haben Sie selber erkannt. Bis er Sie hergebracht hat, hab’ ich noch nie erlebt, dass er sich so für einen anderen Menschen interessiert hat.”
    Interesse
. Unter normalen Umständen hätte Gwen Dorians Verhalten als kaum mehr als widerwillige Toleranz interpretiert. Aber sie hatte gerade erst angefangen, zu erkennen, was sich noch alles in Dorians Seele verbergen mochte. Und sie wusste, dass sie weiter graben musste, bis sie gefunden hatte, was ihn bewegte … und bis sie wusste, warum er ihre Neugier geweckt hatte wie kein anderer, seit Barry gestorben war.
    “Sie kommen doch wieder, oder?”, sagte Walter, als er Gwen hinaus ins Sonnenlicht führte. “Würde ihm guttun, das weiß ich.”
    Gwen sah den alten Mann an. “Sogar wenn ich keine anderen Gründe hätte, zurück ans Flussufer zu kommen, würde ich ihn nicht vergessen. Er hat mir das Leben gerettet.”
    “Aber da ist schon noch mehr, was?” Walter sah sie mit mehr Verständnis an, als sein Lallen und seine lockere Art vermuten ließen. “Dory macht es einem nicht einfach, ihn zu mögen, aber Sie tun es trotzdem.”
    Tat sie das? Gwen sah zur Seite und überprüfte ihre Gefühle so sorgfältig, wie man es mit einem schmerzenden Zahn tun würde. Mitch und die anderen Reporter hielten sie für zu impulsiv und zu emotional wie alle Frauen. Aber wenn es um Männer ging …
    Ihn
mögen
? Vielleicht. Und wenn sie ganz ehrlich mit sich selbst war, wie sie es immer zu sein versuchte, musste sie zugeben, dass Dorian Black auf merkwürdige Art attraktiv war. Sein Aussehen hatte etwas damit zu tun, aber es ging noch tiefer als das.
    “Du bist ein Kreuzritter”, sagte Mitch ihr immer wieder, “und das wird dein Untergang sein, Guinevere.”
    Sie wusste verdammt genau, dass sie die Welt nicht retten konnte. Aber sie konnte es vielleicht bei einem winzigen Teil doch schaffen.
    “Machen Sie sich keine Sorgen, Walter. Ich verspreche Ihnen, ich tue, was ich kann.”
    Offenbar zufrieden zog Walter sich in die Schatten zurück, höchstwahrscheinlich um den Rest des Nachmittags mit einer Flasche zu verbringen. Dorian Black
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