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Die dunkle Macht des Mondes

Die dunkle Macht des Mondes

Titel: Die dunkle Macht des Mondes
Autoren: Susan Krinard
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schien nicht zu trinken, wenigstens das. Andererseits würde es ihm vielleicht sogar besser gehen, wenn er es täte.
    Mit einem halben Schulterzucken machte Gwen sich auf den Weg zur nächsten Polizeiwache.
    Dorian beobachtete, wie sie sich entfernte. Er achtete darauf, den Schutz, den ihm die Tür des Lagerhauses gab, nicht zu verlassen. Sie ging mit langen, selbstsicheren Schritten. Ihr Kostüm aus Kammwolle mit der quadratischen Jacke und dem knielangen Faltenrock sah schlicht und geschäftsmäßig aus, aber es verdeckte weder ihre Kurven noch den Schwung in ihrem Gang.
    Gwen Murphy. Er hatte ihren Namen vor letzter Nacht noch nie gehört. Auch als er noch für Raoul gearbeitet hatte, hatte er nicht viel auf die Zeitungen geachtet. Das war nicht sein Ressort gewesen. Er hatte seine Arbeit erledigt, ohne Leidenschaft, aber effektiv, so lange, bis die Welt über ihm zusammengebrochen war.
    Und sie war gerade dabei, noch einmal auseinanderzubrechen, so wie sie es jedes Mal bei Neumond tat. Er hatte bereits vor einigen Tagen die ersten Anzeichen gespürt: Er war ungehalten, verwirrt, seine Gedanken wirbelten durcheinander. Und seine Gefühle … denen konnte er am wenigsten vertrauen. Er musste sich nur daran erinnern, wie er sich gegen Gwen gewendet hatte und bereit gewesen war, sie bis auf den letzten Tropfen leer zu saugen.
    Er schüttelte sich, als er an die Leichen auf dem Anleger dachte. Wenigstens war er sich einigermaßen sicher, dass er mit diesen Morden nichts zu tun hatte. Soweit er sich erinnern konnte, hatte er seit Raouls Tod niemanden mehr umgebracht.
    Nein, dieses Massaker hatte höchstwahrscheinlich eine der verfeindeten Splittergruppen zu verantworten, die sich gebildet hatten, nachdem der Clan sich aufgelöst hatte. Auch wenn Dorian sich bewusst aus allen Affären der
Strigoi
heraushielt, zweifelte er nicht daran, dass die Gewalttaten, die von den Vampiren der Stadt gegen ihre eigene Art verübt wurden, in den letzten drei Monaten zugenommen hatten. Das Blutvergießen war den Anführern nicht länger nur ein Mittel, um ihre Untergebenen und menschlichen Angestellten im Zaum zu halten. Zwei gleichstarke Koalitionen hatten sich gebildet, die sich gegenüberstanden und um die Kontrolle von Raouls sorgsam aufgebauter Schwarzbrennerei kämpften – und um die Macht, die sie bedeutete.
    Eines stand fest. Egal, was der Grund für die Morde gewesen und egal wer auch immer für sie verantwortlich sein mochte und die Leichen blutleer herumliegen lassen hatte, der Verantwortliche war entweder unglaublich dumm oder so übereifrig, dass er gefährlich war. Ein so ungewöhnliches Merkmal hob die Morde von den gewöhnlichen Taten der Mafia ab – und erregte die Aufmerksamkeit von neugierigen Sterblichen, wie zum Beispiel die von Miss Gwen Murphy.
    Dorian kehrte dem Licht den Rücken zu. Das Schicksal der New Yorker
Strigoi
hatte ihn nicht länger zu kümmern. Sein eigenes Leben war zu einer Folge von erschöpfenden Nächten geworden, in denen er gerade genug jagte, um seinen Körper instand zu halten, und zu Tagen, an denen er sich in seiner stinkenden Behausung verkroch, nur in der Gesellschaft eines alten Mannes, der keine Ahnung hatte, was er war. Einzig der Überlebensinstinkt, der am tiefsten verwurzelte und mächtigste Impuls des Vampirs, hatte ihn bisher davon abgehalten, seinen Körper einfach vergehen zu lassen.
    Aber jetzt war da noch etwas anderes. Etwas, mit dem er nicht gerechnet hatte. Etwas, das angefangen hatte, als er Zeuge wurde, wie das Mädchen unter die Oberfläche des Flusses sank. Und etwas, das ihn dazu gebracht hatte, ein menschliches Leben zu retten.
    Gwen Murphy. Sie hätte ihm nicht mehr bedeuten sollen als das, was die Sterblichen eine “gute Tat” nannten, eine Handlung, die nicht die kleinste Kerbe in den Berg aus Schuld schlug, den er in einem Dreivierteljahrhundert angehäuft hatte.
    Dorian rieb sich das Gesicht und spürte die Knochen seiner Wangen und seines Kiefers. Er begriff immer noch nicht ganz, was geschehen war und welcher unbekannte Impuls ihn dazu gebracht hatte, sie herzubringen und über sie zu wachen, bis sie sich wieder um sich selbst kümmern konnte. Es war kein einfacher Hunger gewesen, er hatte nicht einmal an Nahrung gedacht, als er sie gerettet hatte. Es war auch nicht die beunruhigende Anziehung gewesen, mit der er jetzt zu kämpfen hatte.
    Wenn Miss Murphy zu einem hysterisch schluchzenden Haufen auf dem Steg zusammengebrochen wäre, nachdem er sie aus dem
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