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Die Glücksritter von Schreckenstein

Die Glücksritter von Schreckenstein

Titel: Die Glücksritter von Schreckenstein
Autoren: Oliver Hassencamp
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Hohlraumversiegelung
     
„Ich weiß zwar nicht, mit wieviel Tippreihen, aber auf jeden Fall haben meine Mädchen gewonnen!“ berichtete Sonja Waldmann, Musiklehrerin im Mädcheninternat Rosenfels.
Sie saß zusammen mit ihrem Vater und den beiden Schülern Ottokar und Stephan beim Tee. Diese nachmittägliche Teestunde hatte schon Tradition. Ein — oder zweimal während des Trimesters kam die junge Lehrerin mit Selbstgebackenem hinüber zur Jungenschule Burg Schreckenstein, wo ihr Vater unterrichtete. Dann wurden alle Ereignisse der letzten Wochen ausführlich besprochen. Und nicht zuletzt außergewöhnlich gut gegessen.
Ottokar stopfte sich gerade ein Stück Kuchen in den Mund und grinste. „Vom Fußball haben die Hühner doch keine Ahnung!“
„Vielleicht deswegen“, meinte Doktor Waldmann.
Auch Stephan stopfte sich den Mund voll. „Dein Kuchen ist mal wieder superultra, Sonja!“
Die beiden Schreckensteiner waren mit der Lehrerin per Du. Seit jenem Streich in Neustadt, wo die Jungen früher zur Schule gegangen waren. Als die alten Klassenzimmer damals zu eng geworden waren, hatte Graf Bodo von Schreckenstein in seiner Burg eine Ausweichmöglichkeit angeboten, und die Jungen, deren Eltern einverstanden waren, zogen hinauf auf den Schrekkenstein. Täglich hin — und zurückgebracht zu werden, wäre umständlich und kostspielig gewesen. Glücklicherweise gefiel es allen in dem alten Gemäuer ausnehmend gut. Hier würden sie nicht mehr weggehen, das stand fest. Überglücklich, daß ihre Sprößlinge sich in der Schule endlich wohl fühlten, stimmten die Eltern zu, bezahlten einen angemessenen Betrag für ihre Verpflegung und ließen sie auf der Burg.
Schreckenstein erwies sich als Glücksfall. Die neue Umgebung veränderte die Jungen vollkommen. Fortan eiferten sie den ehemaligen Burgbewohnern nach und nannten sich Ritter.
„Und was machen sie jetzt mit dem Geld?“ fragte Stephan nach längerer Kaupause.
„Da gibt’s noch Schwierigkeiten mit der Auszahlung, weil sie minderjährig sind“, berichtete Sonja. „Beatrix, von der ich dich grüßen soll, träumt schon von einem neuen Akkordeon, Ingrid von einer Stereoanlage und Martina von einem Rennrad. Aber dazu wird’s wohl nicht reichen, fürchte ich.“
„Und was sagen die andern dazu?“ wollte Ottokar wissen.
„Die giften sich und tippen wie die Irren.“
„Was sie eigentlich nicht dürften!“ meinte Doktor Waldmann.
,Ja“, sagte Sonja. „Aber das ist schwer zu kontrollieren. Einzahlen und den Schein abgeben darf jeder. Erst bei der Auszahlung zeigt sich, ob noch ein Erwachsener dahintersteht.“
Die beiden Ritter sahen einander an und fragten, da sie dasselbe dachten, gleichzeitig: „Und was sagt die Horn?“ Die Frage war unvermeidlich. Fräulein Doktor Adele Horn, die Leiterin von Rosenfels hatte ein gestörtes Verhältnis zu jugendlichem Übermut. Am liebsten hätte sie alles verboten, was Spaß macht, und Schreckenstein war für sie das rote Tuch schlechthin. Doch wie Sonja versicherte, ahnte die Leiterin von der Tippepidemie in ihrem Internat nichts. Beinah wäre sie weggekommen. Das Schulamt wollte sie wegen ihres Rheumas vorzeitig in den Ruhestand versetzen, doch sie lehnte ab und blieb.
Doktor Waldmann schmunzelte. „Ich bin nur gespannt, wie lange der Bazillus braucht, bis er über den Kappellsee kommt!“
Sonja konnte nicht verstehen, daß die Ritter nicht längst davon wußten. Normalerweise gab es ständig Kontakte zwischen Schreckenstein und Rosenfels, nachts vor allem, in Form von Streichen. Wenn sich zur Zeit ausnahmsweise in dieser Richtung nichts tat, so hatte das zwei höchst einfache Gründe: Die Mädchen hatten durch ihren Tippfimmel nichts anderes mehr im Kopf; die Ritter waren mit einem Sonderprogramm vollauf beschäftigt und nach Sonnenuntergang zu müde, um sich noch Streiche auszudenken. Von der defekten Dachrinne am Westflügel abgesehen, wurde auf der Burg gerade gründlich renoviert. Das hieß, vor allem entrümpelt und frisch geweißt. Die Korridore von Nord — und Westflügel strahlten bereits so hell, daß die weißen Schränke der Ritter vor den Wänden grau erschienen. Vorher war es umgekehrt gewesen. Die Zimmergemeinschaften schwangen Pinsel und Rolle um die Wette, bis im Unterricht keiner mehr leserlich schreiben konnte, am allerwenigsten an die Tafel. Die Armmuskeln gehorchten nach stundenlangem Streichen den Befehlen aus dem Gehirn nicht mehr. „Diesmal müssen wir die Klassenarbeit mündlich machen! Ich
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