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Die dunkle Chronik der Vanderborgs. Louisa

Die dunkle Chronik der Vanderborgs. Louisa

Titel: Die dunkle Chronik der Vanderborgs. Louisa
Autoren: Bianka Minte-König
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schon vertraute Stimme aus meinen Träumen, und ich spürte eine unglaubliche Sehnsucht in mir, mich geradewegs in den See zu stürzen undhinüberzuschwimmen, dorthin, wo dieser geheimnisvolle Fremde stand und mir zuwinkte.
    Es waren zwei Königskinder, die hatten einander so lieb … Sie konnten zusammen nicht kommen, das Wasser war viel zu tief …
    Das alte Volkslied noch im Ohr wendete ich mich abrupt ab, um den unheimlichen Bann zu brechen.
    Als ich Marc auf dem Rückweg zum Motorrad vorsichtig nach der Gestalt auf dem Steg fragte, wusste er überhaupt nicht, wovon ich redete. Damit war klar, dass er nichts gesehen hatte, und ich grübelte mit einem leichten Schaudern darüber nach, ob es sich vielleicht nur um eine Halluzination gehandelt hatte, die durch meine Träume hervorgerufen worden war. Das wäre schon etwas beunruhigend, genau wie die Tatsache, dass ich überhaupt von diesem Steg geträumt hatte, den ich doch noch nie zuvor in meinem Leben gesehen hatte.
    Es war ein bedrohliches Gefühl, und als wir den Trampelpfad zurückgingen, zuckte ich bei jedem knackenden Geräusch, welches das niedergetretene Schilfrohr unter unseren Schritten machte, verschreckt zusammen. Bruchstücke aus einem Gedicht von Annette von Droste-Hülshoff fielen mir ein, die auch nicht gerade aufmunternd waren.
    Gestümpf am Ufer … eine unheimlich nickende Föhre … Riesenhalme wie Speere … Röhricht knisternd im Hauche …
    Verunsichert dachte ich, dass ich vielleicht besser auf meine Mutter gehört hätte und niemals hierhergekommen wäre.
     
    Es wäre wohl wirklich besser gewesen, denn das, was vielleicht einmal ein Gutsgebäude gewesen war, glich in der Tat einer heruntergekommenen Ruine.
    Der erste Eindruck war allerdings imposant. Ein Haupthausim Stil des 17. Jahrhunderts und zwei eingeschossige Seitenflügel nach Osten und Westen. Offensichtlich später angebaut, aber, wie Marc betonte, gut und stilsicher ausgeführt. Von der Zufahrt her betrachtet, die durch eine Lindenallee auf einen runden Platz führte, ein wirklich beeindruckender Anblick. In gewisser Weise irgendwie nobel, Gutshaus eben …
    Unglaublich, dachte ich, das könnte also mir gehören.
    Wir fuhren mit dem Motorrad die verwilderte, ehemals herrschaftliche Auffahrt hinauf zum Haupteingang, den man an der kleinen Freitreppe erkannte, als ich plötzlich direkt vor uns eine Bewegung wahrnahm.
    »Halt an, Marc! Stopp!!!«, kreischte ich hysterisch, denn nur wenige Meter vor uns war ein Mann aus dem Gebüsch getreten und stand nun mitten auf der Zufahrt. Noch einmal schrie ich: »Stopp, Marc!« Aber es war zu spät.
    Als hätte er ihn nicht gesehen, raste Marc in unvermindertem Tempo weiter und fuhr – ich schrie dabei erneut auf – mitten durch ihn hindurch. Ich hörte schon den Knall, der entstand, wenn ein Motorrad mit einem menschlichen Körper zusammenstieß, sah das Blut spritzen, Knochen brechen …
    Aber seltsamerweise gab es keinen Aufprall. Alles, was ich an der Stelle spürte, wo der Zusammenstoß uns von der Maschine hätte reißen müssen, war ein eisiger Windstoß, der mich bis ins Innerste frösteln ließ.
    Als Marc die Maschine unbeschadet vor der Freitreppe anhielt, sprang ich ab und rannte noch mit dem Helm auf dem Kopf zu der Unfallstelle zurück. Nichts. Keine Spur von einem Menschen und auch nicht der kleinste Anhaltspunkt, dass hier jemand überfahren worden war. Aber ich hatte die Gestalt doch genau gesehen.
    »Was ist?«, fragte Marc, der sich wohl über mein Verhalten gewundert hatte und mir zu Fuß nachgekommen war. »Warum bist du hierher zurückgelaufen?«
    »Hast du denn die Gestalt auf der Zufahrt nicht bemerkt? Ich glaube, es war ein Mann … Du hast ihn einfach umgefahren.«
    Marc sah sich verwirrt um. »Wo soll das denn passiert sein? Ich habe niemanden gesehen.«
    Ich fühlte, wie ich rot wurde. War das peinlich, jetzt musste er mich ja für völlig durchgedreht halten.
    »Äh, ja, dann war es wohl eine Sinnestäuschung … Die Sonne hat sicher nur einen Schatten geworfen«, murmelte ich verlegen, nahm den Helm ab und schüttelte mein Haar.
    Gemeinsam gingen wir zurück zum Gutshaus. Es sah von hier wirklich eindrucksvoll aus.
    Aber kaum hatten wir es erreicht, da zerfiel das Traumschloss vor meinen Augen sehr schnell zu einem maroden Gemäuer mit zerschlagenen und vernagelten Fenstern, morschen Tür- und Fensterrahmen und einem reparaturbedürftigen Dach, auf dem etliche Dachziegel fehlten. Gewiss war das Innenleben
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