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Brann 01 - Seelentrinkerin

Brann 01 - Seelentrinkerin

Titel: Brann 01 - Seelentrinkerin
Autoren: Jo Clayton
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1. Ein Dieb und seine Schwester
    Aituatea wechselte die Beugung der Knie, um den Schmerz in der Hüfte zu mildern, bewegte sich vorsichtig, um zu vermeiden, daß unter ihm die aufgestapelten Ballen quietschten, die Ballen ungewaschener, ungegerbter Vliese, deren Gestank ihm in die Nase stieg, aber ihn vor dem Geruchssinn und den Zähnen der Rattenhunde schützten, wie sie die Wächter mitführten. Er hob ein wenig den Kopf und spähte hinaus in die Nebelschwaden, die übers stille dunkle Wasser der Bucht wallten. Eine unstete Brise strich ihm über das Gesicht, zupfte an dem an den Kopf geklatschten Haar, trug den Ohren gerade genug Geräusche zu, um Ruhe und Frieden der Nacht zu betonen. »Die Sache ist 'n Fehlschlag«, flüsterte er der Person neben seiner Schulter zu. »Sie kommt nicht.«
    »Der Mann auf dem Berg hat gesagt ...« Die Stimme seiner Schwester glich dem Klirren von Eiskristallen, die zersprangen. »Schau dort!« Sie deutete über die flachen Lagerhäuser hinter den Kaianlagen hinweg, deren unregelmäßige Umrisse die Fackeln von hinten erleuchteten, die vor den die ganze Nacht hindurch geöffneten Weinbuden, Freudenhäusern und Speisehäusern brannten. Endlich ging der Wunde Mond auf, er stand wie ein zerlaufener Klecks geronnener Milch jenseits des an Türmchen und Spitzen reichen Tempeldachs. Sie schwang den Arm, farblos und durchsichtig wie Glas, umgeben von Geschimmer wie von Kristall auf Samt, in eine andere Richtung, zeigte auf den Hafen. 
    »Und da«, fügte sie hinzu. Sie schien völlig aus Kristall zu bestehen, sogar die Lumpen, die sie am Leib hatte, wirkten so. »Hinter den Woda-an. Ein Blindes Schiff aus Phras wirft Anker.«
    Aber statt dorthin schaute Aituatea hinüber zu den vom immer dichteren Nebel umwehten Woda-Wohnbooten, auf  deren buckligen Dächern sich im Mondschein Glanzlichter spiegelten wie auf den Rückenpanzern von Käfern. Ein Blindes Schiff. Die Woda-an mochten diese Blinden Schiffe nicht. Hier und da flammten zwischen den Wohnbooten Fackeln auf, als die Woda-an den Besucher bemerkten, Klapperrasseln lärmten los, ertönten lauter, verklangen, fingen an einer anderen und noch einer anderen Stelle zu rattern an und verstummten ebenso, um den Schutz Godalaus und ihrer Nebengottheiten gegen das von dem schwarzen Schiff ausgedünstete Böse zu beschwören; es hatte keine Augen, so daß man es während der Überquerung des Meers nicht sehen konnte. Mit der für Hina eigentümlichen Verachtung für den Aberglauben fremder Völker belächelte er ihr Verhalten. Morgen wird es von ihnen im Tempel wie von Wasserflöhen wimmeln. Wo bleibt die verfluchte Streife? Ich will fort. Sie wird nicht kommen. Jetzt nicht mehr. Er stützte das Kinn auf die Fäuste und beobachtete das Schiff. Er döste; hinter seinem Rücken stieg der Wunde Mond immer höher. Die Streife der Wächter hatte Verspätung. Wahrscheinlich lungerten die Kerle bei den Weinbuden herum. Von ihm aus sollten sie dort bleiben. »Laß uns abhauen«, raunte er. »Das Schiff hat für die Nacht Anker geworfen. Es kommt niemand an Land.« Er drehte den Kopf, um seine Schwester anzusehen. Sie hatte, sann er, ihren Trotz mit ins Wasser genommen. Sie stand neben seiner linken Schulter, wie sie da seit jener Nacht stand, da sie durch Wasser, Luft und Schrecken zu ihm geschwommen kam, während ihr Leichnam schon auf dem Grund der Bucht schaukelte.
    Das schwärzliche Glitzern, das ihre Augen abgaben, blieb dem Schiff aus Phras zugewandt, als hätte sie ihn nicht gehört. »Der Mann auf dem Berg hat gesagt«, entgegnete sie, »daß sie kommen wird.«
    »Doppelzüngiger alter Fuchs.«
    Sie fuhr herum, stampfte neben ihm mit dem kristallenen Fuß auf, das kristallische Haar flog ihr um den Kopf. »Schweig, Dummkopf! Er könnte dich verwünschen und aus deinem Körper vertreiben, und was sollte dann aus mir werden?«
    Aituatea rieb ölige Vliese zwischen den Händen, schauderte bei den Erinnerungen, die ihre Äußerung hervorrief. Ein Greis kniet in seinem Berggarten, gräbt in der Erde. Ein reinlicher Greis mit kurzem weißen Bart und weißen Haarbüscheln über den Ohren pflegt Reihen von Bohnen und Kohlköpfen. Ein Greis in sackartigem Gewand und ohne Schuhe, sogar ohne Strohsandalen, aber mit Augen, deren Blick sich bis in die Seele bohrt. Aituatea hob die Schultern, versuchte eine wachsende Furcht abzuschütteln, verharrte sofort, als er das leise Knarren hörte, bei dem Ballen sich gegen Ballen lehnte. Voller Unbehagen starrte er
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