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Die dunkle Chronik der Vanderborgs. Louisa

Die dunkle Chronik der Vanderborgs. Louisa

Titel: Die dunkle Chronik der Vanderborgs. Louisa
Autoren: Bianka Minte-König
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hast. Fahren wir halt statt ins Havelland mal in die Mark. Bis dahin schiebst du deine Antwort an den Notar eben noch auf.«
    Ich hätte ihn abküssen können. Es war doch mal wieder ausgesprochen nett von ihm, dass er mir das anbot. Ich hatte schon selber überlegt, ob ich ihn fragen sollte, aber so fand ich es ja viel genialer. Also war die Sache abgemacht. Als ich zurück in mein Zimmer ging, hatte ich das Gefühl, auf einer Wolke zu schweben.
    Halt das fest, sagte ich mir. Speicher das sofort ab, damit du es irgendwann auf der Bühne wieder hervorholen kannst … Solche Augenblicke sind selten und darum kostbar! Ich speicherte.
    Als ich dann mit geschlossenen Augen in meinem Bett lag, war ich irgendwie erstaunt darüber, dass allein die Aussicht, mit Marc nach Blankensee zu fahren, mich derarteuphorisch stimmen konnte. Lag es an Marc oder an dem Gut? Vielleicht an beidem. An den Mann aus meinen Träumen dachte ich in dem Moment nicht.
     
    A
m Samstag checkte Marc schon früh sein Motorrad vor dem Haus. Ein Ethnomix von Kids umringte ihn und löcherte ihn mit Fragen zur Technik der Maschine, die er geduldig und kompetent beantwortete, was ihm eindeutig Respekt bei den kleinen Quälgeistern verschaffte.
    Ich war noch ein wenig unausgeschlafen, denn in der Nacht hatte ich erneut einen seltsamen Traum gehabt. Aber diesmal war er ganz anders gewesen …
     
    Ich stand auf einem hölzernen Steg, der in einen See hinein gebaut war, und sah mit einem melancholischen Gefühl die Sonne am Horizont versinken. Ihr letztes Licht tauchte den See in blutiges Rot, und was zuvor noch stimmungsvoll und romantisch anmutete, wirkte plötzlich unheimlich und bedrohlich. Blutsee, schoss es mir durch den Sinn, und als ich gerade den Blick von diesem beängstigenden Schauspiel abwenden wollte, versank die Sonne, und das Farbspiel auf dem Wasser, das ja nur ein Reflex des Himmels war, wandelte sich über Orange zu Gelb und schließlich zu einem stumpfen Grau.
    Im selben Moment, wo das Licht des Tages brach, spürte ich, dass ich mich nicht mehr alleine auf dem Steg befand. Jemand war hinter mich getreten, mit unhörbarem Schritt, aber dennoch als eine fühlbare Veränderung im Energiefeld.
    Ich wagte nicht, mich umzudrehen, sondern stand wie erstarrt, atmete die Gegenwart des anderen und wusste doch nicht, wer es war.
    »Du bist gekommen«, sagte plötzlich die Stimme, die ich schon kannte, dicht an meinem Ohr. »Ich freue mich …«
    Panisch drehte ich mich herum, aber alles, was ich sah, war ein dunkler Schatten, der in der Dämmerung davonhuschte.
    Ich hatte mich im Traum so erschreckt, dass ich davon aufwachte, ja ich war geradezu im Bett hochgefahren. Eine Weile hockte ich dort völlig verstört und orientierungslos, während die bedrohliche Atmosphäre des Traumes noch in mir nachwirkte. Mein Atem ging hektisch und stoßweise. Ich versuchte, ruhiger zu atmen, aber es wollte mir nicht gelingen, und so ging ich mit zittrigen Beinen in die Küche und holte mir ein Glas Wasser. So sehr ich mich danach auch bemühte, ich fand nicht mehr in den Schlaf, sondern wälzte mich den Rest der Nacht unruhig hin und her.
    Wirre Bilder liefen vor meinem inneren Auge ab wie ein stümperhaft zusammengeschnittener Horrorfilm: blutige Körper, von Granaten zerfetzt … endlose totbringende Wüsten, durch die sich verhungernde schwarze Menschen schleppten … ein totes Pferd am Stacheldrahtverhau, mit aufgeplatztem Bauch, aus dem die Eingeweide hingen … und dessen Augen von Fliegenschwärmen bedeckt waren … eine nackte Frau, der sich die Haut blasig vom Körper schälte … ein Mann in Ketten, abgemagert zum Skelett, übersät mit den blutigen Spuren von Peitschenhieben … und Blut … immer wieder Blut … Tropfen, Flecken, Lachen, ganze Seen voller Blut … und Äcker … übersät mit Leichen …
    Es war, als teilte sich mir die grauenvolle Erinnerung eines anderen Menschen mit … wie eine Art Gedankenübertragung. Am Morgen war ich völlig gerädert und entsprechend unausgeschlafen. Ein gutes Omen für unsere Fahrt nach Blankensee schien mir das nicht zu sein.
     
    »Wollen wir nicht doch lieber ins Havelland fahren?«, fragte ich Marc, als er mir den Helm reichte.
    »Warum denn das auf einmal? Angst vor der eigenen Courage?«
    Ich zuckte die Achseln. »Vielleicht.«
    Von dem Traum mochte ich ihm nicht erzählen. Marc war alles andere als ein Esoteriker, eher Realist und Pragmatiker. Er hätte mich gewiss nur ausgelacht. Es würde schwer
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