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Die dunkle Chronik der Vanderborgs - Estelle

Die dunkle Chronik der Vanderborgs - Estelle

Titel: Die dunkle Chronik der Vanderborgs - Estelle
Autoren: Bianka Minte-König
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mit einer Postkutsche fortzusetzen.
    »Es betrübt mich zu sehr, Fräulein Estelle leiden zu sehen«, sagte er zu seiner Entschuldigung, »und es wird besser für sie sein, wenn sie in der Kutsche ganz ihre Ruhe hat und nicht durch meinen anderen Tagesrhythmus in ihren Bedürfnissen eingeschränkt wird.«
    Zumindest Friedrich und ich glaubten ihm kein Wort, denn zu deutlich flackerte ihm die Angst in den Augen, doch Friedrich sagte nur: »Gewiss, Jaromir, das ist sehr rücksichtsvoll und Estelle wird Euch dankbar sein.«
    Ich nickte zu seinen Worten und gab mich dann wieder meiner Melancholie hin, aus der mich Friedrich allerdings immer wieder herauszulocken versuchte.
    So bot er mir Leckereien wie frische Beeren an, pflückte mir Blumen vom Wegesrand und bewies mir gegenüber eine recht herzliche brüderliche Besorgtheit, die mich rührte und mich mein offensichtlich nahes Ende noch mehr bedauern ließ.
    Ein klein wenig Hoffnung keimte auf, als Friedrich von den Ärzten in Berlin sprach, die allergrößte Erfolge bei der Behandlung der schlimmsten und seltsamsten Krankheiten hätten.
    »Sicher heilen sie auch die deine.«
    Aber bald ging es mir so schlecht, dass ich mir sicher war, die Reise nicht zu überleben.
    Ich war in einen Zustand der Apathie verfallen, als einer der Gäule mit dem Bein einknickte und die Deichsel brach. Zwar war dem Tier nichts Ernstliches geschehen, doch mussten die Männer in den Wald gehen, um nach starken Ästen zu suchen, mit denen sie die Deichsel notdürftig flicken konnten.
    Inzwischen war ich so schwach, dass ich die Kutsche nicht verlassen konnte, und so ließen Vanderborg und Friedrich Jaromir zu meinem Schutze zurück. Der bekämpfte tapfer seine Seuchenhysterie und nutzte die Gelegenheit zu einem kleinen Imbiss, von dem er auch mir anbot.
    Ich lehnte dankend ab, sah aber zu, wie er von einer harten Wurst geschickt Scheiben herunterschnitt.
    Ein plötzliches Wiehern der Pferde und ein leichtes Ruckeln der Kutsche lenkten ihn jedoch ab, und so ritzte er sich mit dem Messer die Hand und hellrotes Blut quoll aus der Wunde hervor.

    Im selben Moment war mir klar, was mir fehlte und dass ich mich in Bezug auf mein neu gewonnenes Menschsein in einem schrecklichen Irrtum befand.
    Ich hätte die Zeichen viel eher erkennen und deuten können, aber ich hatte die Augen davor verschlossen, weil ich unbewusst die Wahrheit scheute, weil ich so inständig hoffte, mein menschliches Leben zurückerlangt zu haben, auch wenn es nur von kurzer Dauer sein mochte.
    Es wäre wirklich das größte Glück für mich gewesen, Mensch und endlich erlöst zu sein von dem Fluch, den ich nicht nur Ladislav von Przytulek und seinem Geschlecht angetanhatte, sondern auch mir. Ja, ich war genauso verflucht, denn ich war zum Werkzeug meiner eigenen Rache geworden und verdammt, rastlos und untot über den Erdball zu irren, solange auch nur noch einer aus seinem Geschlecht lebte.
    Ich spürte noch jetzt die unglaubliche Genugtuung und Erleichterung, die mich ergriffen hatte, als ich in der Burg von Przytulek den Letzten seines Geschlechtes tötete. So sicher war ich mir, nun endlich frei zu sein. Und als es mich in Vanderborgs Maschine sog, da fühlte ich mich umtost von Blitzen und elektrischen Entladungen der Erlösung ganz nah.
    Nie hätte ich gedacht, aus diesem Energiefeld je wieder ausgespien zu werden, doch als es gegen alle Naturgesetze doch geschehen war, da glaubte ich, als Mensch in Estelles Körper weiterleben zu können. Welch ein Irrtum.
    Ich war zwar in einem menschlichen Körper wiedergeboren worden, aber ich war deswegen noch lange kein Mensch!

    Seltsamerweise drückte mich diese Erkenntnis nur einen kurzen Moment lang nieder, in dem ich mich fragte, was ich denn dann wohl war? Doch noch ehe ich auf diese existenzielle Frage eine Antwort finden konnte, fühlte ich in mir jene unbändige Gier aufsteigen, die seit Jahrhunderten immer wieder mein Denken und Fühlen vollständig überlagerte und auch jetzt wie abgelöst von jeglichem Moralempfinden Estelles mein Handeln steuerte.
    Ich stürzte mich auf den völlig verstörten Jaromir und hatte durch das Überraschungsmoment leichtes Spiel, zumal ihm auch seine einzigen Waffen, das Messer und die harte Wurst, vor Schreck aus der Hand fielen. Noch ehe er recht begriff, was geschah, schlug ich meine spitz hevorbrechenden Eckzähne in seinen Hals und trank begierig wie eine Verdurstende in der Wüste den Leben spendendenSaft, sein warmes Blut. Er zuckte ein
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