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Die dunkle Chronik der Vanderborgs - Estelle

Die dunkle Chronik der Vanderborgs - Estelle

Titel: Die dunkle Chronik der Vanderborgs - Estelle
Autoren: Bianka Minte-König
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bald eine Last.«
    Ich saß wie versteinert, so schrecklich klangen mir ihre Worte in den Ohren. Erst als sie ihr dumpfes litaneiartiges Gemurmel beendet hatte, stöhnte ich erschüttert auf. »Aber was habe ich getan, wie kann Gott das zulassen? Kann mich denn niemand von diesem Fluch erlösen?«
    Sie jedoch sah mich nur mitleidig an und sagte in düsterem Tonfall: »Es gibt keinen Gott für dich, der dich erlösen könnte. Wisse, dass du eine vom Leib Christi Verstoßene bist, dass kein Kirchentor dir offen stehen wird, keine Kirchenschwelle für dich überwindbar ist und die Insignien unseres Heilands und des Heiligen Geistes dir qualvolle Schmerzen zufügen werden, weil bei ihrem Anblick der Satan aus dir entweichen will.«
    Ich hing erschüttert an ihren Lippen während dieser Worte. Bis zu diesem Zeitpunkt hatte ich nur meiner Rachegelebt, war ständig auf der Flucht gewesen und hatte nicht die Muße gehabt, über das nachzudenken, was mir widerfahren war. Nun aber begriff ich, dass ich unwiderruflich kein Mensch mehr war.
    »Und es gibt keine Möglichkeit, diesem grausamen Schicksal zu entgehen?«, fragte ich und mir liefen die Tränen des Selbstmitleides über die Wangen.
    Romina wackelte mit ihrem großen, von einer mächtigen grauen Haarmähne umrahmten Kopf, der auf einem viel zu dürren Hals saß. »Die Kirche führt einen Exorzismus durch für solche, die vom Satan besessen sind. Man sagt, die Kraft des Kreuzes wirft den Vampir nieder und ein Pflock, durch sein Herz getrieben, tötet ihn.«

    I ch hörte Vanderborg und Friedrich zurückkommen, und so rückte ich hastig Jaromirs leblosen Körper auf den Polstern der Bank zurecht und band ihm einen seidenen Schal aus seiner Reisetasche um den Hals, um die Spuren meines Bisses zu verdecken.
    Als die beiden den bleichen, blutleeren Leichnam entdeckten, packte auch sie die Furcht vor der polnischen Seuche und sie schleppten ihn in den Wald, wo sie ihn notdürftig mit seinen Sachen verscharrten.
    Friede seiner Seele, dachte ich dankbar. Meine Vampirzähne zogen sich zurück in den Kiefer und nur der Nachgeschmack seines Blutes auf meiner Zunge war wohlig samtig wie der eines guten Weines, mit einem Hauch von Brombeere und Zimt im Abgang.
    Die Deichsel war repariert und Friedrich kletterte wieder auf den Kutschbock, während Vanderborg sich zu mir in die Kutsche setzte.
    »Er war ein guter Kerl«, sagte er, »dieser Jaromir Irgendwer. Zu schade, dass diese verdammte Seuche auch ihn nicht verschont hat.«

    Ich schloss die Augen und hing meinen Gedanken nach, und ohne dass ich wirklich begriff, wie es geschah, schlich sich plötzlich fremdartig, aber zwingend Estelles moralisches Empf inden herein.
    Nie zuvor in meiner vierhundertjährigen Existenz hatte ich darüber nachgedacht, dass ich Menschen ermordete, wenn ich an ihnen meinen Durst stillte. Natürlich war mir bewusst, dass mein Blutkuss sie tötete, aber das war bisher ja auch der Sinn und Zweck meines vampirischen Daseins: Ich rächte mich an Ladislav von Przytuleks Nachfahren, es gab viele von seiner Art, und nährte mich zugleich von ihrem Blut.
    Hin und wieder hatte ich zwar auch auf andere Nahrungsquellen zurückgreifen müssen, aber es hatte sich immer um Menschen gehandelt, um die es nicht schade war. Jedenfalls hatte sie nie jemand vermisst und schon gar nicht sein Bedauern über ihren Tod geäußert, wie es jetzt Vanderborg bei Jaromir getan hatte.
    Mit großem Unbehagen spürte ich, dass ich unmoralisch gehandelt hatte. Zum ersten Mal bef iel mich das Gefühl, etwas Verwerfliches getan zu haben. Ich hatte ein wertvolles menschliches Leben ausgelöscht, um mich zu erhalten. Es war ein Verbrechen und ich fühlte mich schuldig.

    Aber so stark mich meine Gewissensbisse auch plagten und so leid es mir um Jaromir war, mit jeder Meile, die wir fuhren, wurde sein Schicksal unwichtiger und die Erinnerung an ihn blieb wie die Karpaten und meine Vergangenheit immer weiter zurück.
    Wir erreichten endlich Krakau und stiegen dort auf die Bahn um. Das war für uns alle eine Erleichterung und mir war es eine besondere Freude, weil Friedrich nun mit im Abteil saß und eine höchst anregende Konversation voller Esprit und kluger Gedanken pflegte, die ich mehr und mehr genoss.
    Nun, da ich die Augen nicht mehr vor der Wahrheit verschloss und akzeptierte, wie es um mich stand, überwand ich meine Melancholie und fühlte mich zunehmend wohler in Estelles Körper, denn sie war mit ihrem exquisiten Körperbau, den
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