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Die dunkle Chronik der Vanderborgs - Estelle

Die dunkle Chronik der Vanderborgs - Estelle

Titel: Die dunkle Chronik der Vanderborgs - Estelle
Autoren: Bianka Minte-König
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verschwanden. Ihrer schämte ich mich und versuchte darum, meinen Körper den Blicken meiner Mitmenschen zu entziehen, und floh, sooft es möglich war, in eine selbstgewählte Isolation.
    Vanderborg nahm mein Verhalten eine Weile hin, dann aber ließ er mich eines Abends in das Herrenzimmer rufen und in eine Wolke von Zigarrenqualm getaucht zwang ermich, mit ihm über meinen Gesundheitszustand zu sprechen.
    »Deine Augen wirken gelblich«, sagte er zu mir, »sie haben einen ungesunden Glanz, als fiebertest du. Deine Haut ist entstellt durch Narben. Auch issest du kaum und Hansmann macht sich Sorgen, weil du dich hinter verschlossenen Vorhängen vergräbst und Licht und Luft scheust. Du weißt, mein Kind, die Lungenschwindsucht rafft auch junges Blut dahin, wenn der Körper keine Frischluft bekommt und die Seele keine Sonne.«
    Er sprach so klug und verständnisvoll und es bekümmerte ihn sichtlich, dass seine frisch erblühte, lebensvolle Tochter seit dem Blitzschlag in den Karpaten ein so verändertes, dem Dunklen zugewandtes Wesen zeigte. Der Gedanke, daran, die Hauptschuld zu tragen, drückte ihn nach wie vor nieder.
    So versuchte ich ihn aufzurichten und zu beruhigen, indem ich die Strapazen der langen Reise als Grund für mein krankhaft wirkendes Verhalten anführte.
    »Das mag sein, mein Kind«, ging er auf meine Argumente zwar ein, bestand aber danach darauf, mich gleich am nächsten Tag dem Hausarzt vorzuführen.
    »Wir hätten es sofort nach unserer Ankunft tun und nicht auf deine Einwände hören sollen«, meinte er.
    »Das geht nicht, Vater«, lehnte ich jedoch gleich brüsk ab, um dann verbindlicher hinterherzuschieben: »Ich, ich habe meine unreine Zeit und es geniert mich, dem Arzt so unter die Augen zu kommen.«
    Vanderborg sah mich skeptisch an.
    »Ich bin auch vor allem deswegen ein wenig unpässlich und der Kopf schmerzt mir, weswegen ich das grelle Licht nicht gut vertrage.«
    Das schien ihn überzeugt zu haben, denn er ließ mich ziehen.
    »Dann leg dich jetzt zur Ruhe. Wir werden morgen sehen, wie es dir geht, und dann entscheiden, so wie es nottut.«
    Ich wünschte eine gute Nacht und floh in mein Zimmer.
    Dort warf ich mich angekleidet auf mein Bett, schloss die Augen und stellte mir vor, wie ich Jaromir in seinen Hals biss und ihn leer trank, bis ich vollständig berauscht ohnmächtig niedersank.
    Von schlechtem Gewissen keine Spur. Vielmehr spürte ich recht angenehm auf meiner Zunge den Geschmack von Brombeeren, und ich träumte den Mädchentraum von einem Prinzen, der mich auf einem Ball durch den Tanzsaal wirbelte und mich von dort geradewegs auf sein Schloss entführte.
    Vanderborg hatte am nächsten Morgen freilich andere Sorgen, als mich zum Arzt zu bringen, denn der Große Pilati verlangte in einer recht lautstarken Auseinandersetzung das Geld zurück, das er Vanderborg für den Bau der Vampirfangmaschine und die Reise in die Karpaten vorgeschossen hatte.
    »Nach Paris«, bat dieser recht flehentlich um Aufschub. »Lasst uns zusammen zur Weltausstellung nach Paris fahren und dort ein paar fulminante Kunststückchen zeigen. Das wird uns die Kasse wieder füllen. Ihr könnt meinen Anteil einbehalten und damit die Kredite begleichen.«
    Da bei Vanderborg offensichtlich nichts zu holen war, willigte der Große Pilati schließlich in diesen Vorschlag ein, und Vanderborg begann die Reise zu planen und interessierte sich nicht mehr für meine Gesundheit.
    Brachte Hansmann beim Essen oder andererGelegenheit doch noch einmal die Rede darauf, erklärte er es selber mit dem Unfall in den Karpaten und meinte: »Wir müssen ein wenig Geduld haben mit ihr, diese Dinge richten sich mit der Zeit schon wieder von selbst.«

    Friedrich wurde sehr bald mein Vertrauter. Er war Estelles Lieblingsbruder gewesen und ihr verändertes Verhalten, war ihm natürlich sofort aufgefallen, und auch nun, einige Wochen nach unserer Rückkehr, irritierte es ihn immer noch, dass ich am hellen Tag die Vorhänge zuzog, das Essen wie ein Vögelchen nur bepickte, die Tage totschlug und in den Nächten ruhelos umherging.
    »Dass ein Blitzschlag das ganze Wesen eines Menschen so verändern kann, will mir nicht in den Kopf«, sagte er mehr als einmal zu mir und fragte mich, was denn eigentlich den Charakter eines Menschen ausmachte, wenn eine übermäßige Menge an Elektrizität ihn so grundlegend verändern könnte.
    »Die Thesen vom magnetischen Menschen sind abenteuerlich genug«, meinte er, »aber zu glauben, dass das
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