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Marcos Verlangen

Marcos Verlangen

Titel: Marcos Verlangen
Autoren: Laura Gambrinus
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Prolog
     
     
    Aufatmend lehnte er sich zurück und legte den breiten, weichen Firnispinsel aus der Hand. Wenn er es wollte, dann konnte jetzt ein neuer, unbekannter Dante seinen Weg in die Kunstszene finden.
    Er lächelte halb grimmig, halb melancholisch. Was hatte ihn damals nur dazu gebracht, diesen bedeutungsschweren Künstlernamen anzunehmen? Kurz schweiften seine Gedanken ab, doch ehe sie bei der verschwommenen Erinnerung an unbeschwerte, glückliche Tage landen konnten, hatte er sich wieder im Griff.
    Er konzentrierte sich und stand auf, um das Bild mit etwas mehr Abstand nochmals zu begutachten. Er hatte das Gemälde sorgfältig gereinigt und den Staub der letzten Jahre entfernt. Der Lack, den er gerade aufgetragen hatte, brauchte jetzt nur noch zu trocknen. Dieses Bild hatte er total vergessen, dabei war es gar nicht mal eins seiner Schlechtesten. Es hatte, mit einem alten Bettlaken abgedeckt, im Heuschober hinter einem Stapel leerer Leinwände gestanden.
    Es war eine seiner typischen Landschaften: viel perspektivische Tiefe, verschwommene, fast impressionistische Konturen und teils leuchtende, teils verhaltene Farben. Genau das also, was das Publikum von Anfang an so an seinen Gemälden geliebt hatte.
    Zugleich mit der Landschaft hatte er auch ein anderes Bild wiedergefunden und er hatte es mit den besten Vorsätzen auf der Staffelei fixiert. Aber bereits als er sich davor hinsetzte, die Farbpalette in die Hand nahm und einen geeigneten Pinsel auswählte, spürte er, noch bevor er ihn in die Farbe getaucht hatte, dass er auch heute, nach all diesen Jahren, wieder nicht weiterkommen würde. Es war der letzte Dante, der noch übrig war, aber wie schon seit Jahren verbot er sich auch jetzt die Vollendung.
    Es wäre einfach nicht richtig!
    Der Akt war fertig. Und er war perfekt, hatte vollendete Formen, eine Haut wie Samt und Seide, eine perspektivische Tiefe, wie sie allen Dantes eigen war und beim Sfumato hatte er sich an manchen Stellen selber übertroffen, aber…
    …aber sie hatte kein Gesicht. Er konnte es nicht. Und er durfte es auch nicht. Es war seine Schuld gewesen, nur seine!
    Er dachte an die schlafwandlerische Sicherheit, mit der er ihre Züge früher abgebildet hatte. Er hatte nicht einmal darüber nachzudenken brauchen, der Pinsel hatte die richtigen Linien ganz wie von selbst gefunden, so als hätte er ein Eigenleben. Das war unwiederbringlich vorbei.
    …und ein anderes Gesicht?
    Der Gedanke kam ihm zum ersten Mal. Was wäre, wenn er versuchte, ihr ein anderes Gesicht zu geben? Käme er dann von ihr los? Hätte er dann endlich diese furchtbaren Schuldgefühle besänftigt, die ihn seit jenem Tag beinahe auffraßen?
    Er biss die Zähne aufeinander, dass ihn die Kiefermuskeln schmerzten.
    Dante war Geschichte und würde es auch bleiben!
    Mit finsterer Miene machte er sich daran, das Bild wieder von der Staffelei zu nehmen und es für eine weitere Ewigkeit vor sich selbst zu verstecken…

Ein langersehntes Rendezvous
     
     
     
    Marco drehte nervös sein Glas zwischen den Händen.
    Es schien so, als habe er sie tatsächlich überreden können, die Veranstaltung zu verlassen und sich mit ihm in diesem Lokal in der Nähe der Galerie auf einen Drink zu treffen. Nun saß er da und wartete auf sie.
    Falls sie auch wirklich kam!
    Wer ihn so sah, konnte ihn leicht für einen arroganten und ziemlich gelangweilten Schnösel halten, der nicht so recht wusste, was er mit seiner Zeit anfangen sollte. Er trug das fast schon komplett grau melierte Haar sehr kurz geschnitten und die auffällige Farbe wirkte im Gegensatz zu seinem jugendlichen Aussehen auf jeden, der ihm das erste Mal begegnete, erst einmal irritierend. Dann aber kam meistens das Faszinosum dieses merkwürdigen Kontrasts zum Tragen und sein Gegenüber sah in der Regel genauer hin, um sein wahres Alter abschätzen zu können.
    Das kantige Gesicht war glatt rasiert und gerade so gebräunt, dass es in Verbindung mit seinen dunklen Augen noch attraktiv wirkte. Die Kleidung war auf den ersten Blick lässig-elegant, auf den zweiten unübersehbar teuer und erstklassig. Sogar hinter dem niedrigen Tisch sitzend fielen seine breiten Schultern und der muskulöse Oberkörper auf, die feingliedrigen Hände mit den perfekt manikürten Nägeln schienen dazu nicht so ganz zu passen. Wegen all dieser kleinen Unstimmigkeiten war er schlecht einzuschätzen und auf den ersten Eindruck wusste man bei ihm nicht, woran man war.
    Er kannte das und genoss es. Meistens
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