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Die dritte Todsuende

Die dritte Todsuende

Titel: Die dritte Todsuende
Autoren: Lawrence Sanders
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erschüttert deine sämtlichen vorgefaßten Meinungen über Frauen. Und es zerstört nicht nur deinen romantischen Irrglauben, es jagt dir in gewisser Weise auch noch Angst ein.«
    Er schwieg.
    »Denn wenn sich eine Frau so verhalten kann, dann verstehst du nicht mehr das geringste von Frauen. Ist es nicht das, was dir Angst einjagt? Jetzt hast du entdecken müssen, daß Frauen zu allem fähig sind, wozu Männer auch fähig sind. In diesem Fall zum Bösen. Aber wenn das stimmt, dann müssen sie auch zum Guten fähig sein, zur Kreativität, zur Erfindung, zur Kunst. Es wirft all die Vorurteile über den Haufen, die du bisher hattest, vielleicht ohne dir ihrer bewußt zu sein. Plötzlich mußt du deine Vorstellungen von den Frauen revidieren, all deine alten, tiefverwurzelten Ansichten, und das kann ein sehr schmerzlicher Prozeß sein. Ich glaube, das ist der Grund, weswegen du mehr willst als nur ein Ende der Mordserie. Du willst Rache an dieser Frau, die einen solchen Aufruhr in dein Denken über das Wesen und die schickliche Verhaltensweise der Frauen von heute gebracht hat.«
    »Danke für die Dreigroschenanalyse, Frau Doktor«, sagte er. »Ich will nicht behaupten, daß du völlig unrecht hättest, aber du irrst dich ganz bestimmt, wenn du glaubst, ich würde anders empfinden, wenn der Hotel-Ripper ein Mann wäre. In dieser Welt muß jeder für seine Sünden bezahlen, egal, welchen Geschlechts er ist.«
    »Edward, wann warst du das letzte Mal in der Kirche?«
    »Du meinst, zur Messe oder zur Beichte? Ungefähr vor fünfunddreißig Jahren.«
    »Nun, deinen Glauben hast du jedenfalls nicht verloren.«
    »Der ist in mich hineingeprügelt worden. Aber mein Glaube, wie du ihn nennst, hat nichts mit der Kirche zu tun.«
    »Nein?«
    »Nein. Ich bin für die Zivilisation und gegen den Sumpf. So einfach ist das.«
    »Aber du glaubst doch an Gott, oder?«
    »Ich glaube an ein höheres Wesen, wie immer du ihn, sie oder es nennen willst.«
    »Wahrscheinlich nennst du es den Top Cop.«
    Er lachte. »Da liegst du gar nicht so weit daneben.«
    Freitag, 25. Juli…
    Ihr Schamhaar war fast vollständig verschwunden; nur ein paar dünne Strähnen hatten überlebt. Und die Haare an den Beinen und in den Achselhöhlen hatten offenbar aufgehört zu wachsen. Sie hatte das Gefühl, geschält zu werden, am Ende als Frucht ohne Schale, als wabbeliger Geleeklumpen dazuliegen. Die Kleidung schabte ihre zarte Haut auf.
    An diesem Morgen nahm sie ein Taxi zur Arbeit, denn sie war nicht sicher, ob sie die Kraft besaß, zu Fuß zu gehen oder sich in einen überfüllten Bus zu drängeln. Im Büro fürchtete sie sekundenlang, das Tablett mit Kaffee und Kuchen fallen zu lassen. Jede Bewegung war eine Anstrengung, jeder Atemzug eine Qual.
    »Haben Sie sie dabei?« fragte Everett Pinckney.
    Sie blickte ihn begriffsstutzig an. »Was?«
    »Die Tränengasdose«, sagte er.
    Sie verspürte einen plötzlichen Schmerz in den Eingeweiden. Einen Nadelstich. Sie wußte, daß morgen ihre Periode fällig war, aber das hier war etwas anderes: ein Stahlsplitter. Aber sie wimmerte nicht. Sie ertrug den Schmerz, ausdruckslos.
    »Ich habe sie verloren«, sagte sie leise. »Oder verlegt. Ich kann sie nicht finden.«
    Er war verwirrt.
    »Aber, Zoe«, sagte er, »wie konnten Sie so was verlieren oder verlegen?« Sie antwortete nicht.
    »Was soll ich denn jetzt machen?« fragte er hilflos. »Dieser Cop wird wiederkommen und wissen wollen, was Sie damit gemacht haben. Er wird mit Ihnen reden wollen.«
    »In Ordnung«, sagte sie. »Ich rede mit ihm. Ich habe sie einfach nicht mehr.«
    Everett Pinckney war kein Mann, der dazu neigte, sich aufzuspielen. Unschlüssig stand er noch einen Moment vor Zoes Schreibtisch.
    »Nun…«, sagte er, »gut«, und verließ ihr Büro.
    Der Rest des Tages verging. Sie wußte nicht, wohin oder auf welche Weise. Sie schwamm in einem Meer aus Qualen, ihr ganzer Körper pulsierte. Sie wollte weinen, schreien, sich ihr schmerzendes Fleisch von den Knochen reißen. Die Welt um sie herum schien zu wirbeln. Ihr war schwindlig. Es hörte nicht auf.
    Langsam ging sie nach Hause. Ihre Schritte waren unsicher. Die anderen Passanten glitten an ihr vorbei, ein verschwommener, endloser Strom. Die Erde schien unter ihren Füßen nachzugeben. Über dem Verkehrslärm schien ein Brüllen zu liegen, die Luft roch nach Feuer, und in ihrem Mund hatte sie einen Geschmack nach altem Kupfer.
    Sie betrat den Schnellimbiß, zu müde, um ihre Reise
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