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Die Leibwächterin (German Edition)

Die Leibwächterin (German Edition)

Titel: Die Leibwächterin (German Edition)
Autoren: Leena Lehtolainen
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    1
    Das Tier, das wir in Finnland ilves nennen, heißt auf Kroatisch ris , auf Norwegisch gaupe , auf Deutsch Luchs . Ich kann Katzen-, Fuchs- und Wolfsluchse voneinander unterscheiden und erkenne Luchsspuren auf Anhieb. Die Luchse waren schuld daran, dass ich arbeitslos wurde.
    Anita Nuutinen, auf die ich seit einem Jahr aufpasste, wollte sich in einem Juwelierladen in einem der vornehmsten neuen Einkaufszentren Moskaus Prunkeier ansehen. Am Eingang mussten wir einen Metalldetektor passieren, der natürlich Alarm schlug, als ich hindurchging. Man sagte mir, ich müsse meine 9-mm-Glock beim Pförtner hinterlegen.
    «Die brauche ich beruflich», versuchte ich den Männern vom Sicherheitsdienst des Einkaufszentrums zu erklären, die selbst bis an die Zähne bewaffnet waren, doch es half nichts. Wenn ich Anita auf ihrem Einkaufsbummel begleiten wollte, musste ich die Waffe so lange abgeben.
    «Wir passen auf, dass keiner reinkommt», erklärte einer der Wächter in holprigem Englisch. Auf dieses Versprechen gab ich überhaupt nichts. Wenn man genug Geld hinblätterte, war jeder käuflich. Aber Anita wollte das Risiko eingehen.
    «Gehen wir hinein, wenn wir schon einmal hier sind. Schließlich bin ich diejenige, die sich in Gefahr begibt.» Ihr Lächeln war ein Befehl. Ich erwiderte es nicht.
    Anita bekam ihr Prunkei. Ich musste schlucken, denn was sie dafür bezahlte, entsprach meinem Gehalt für drei Monate. Natürlich war es kein echtes Fabergé-Ei, das hätte zehn Jahresgehälter gekostet. Das Prunkei genügte ihr aber nicht, sie wollte noch in das Pelzgeschäft gleich nebenan.
    Im Allgemeinen rate ich meinen Klienten, keine allzu auffällige Kleidung zu tragen, also auch keine teuren Pelze. Anita hatte sich nie um meinen Rat gekümmert. Die toten Nerze oder Silberfüchse, mit denen sie sich behängte, waren nicht mein Geschmack, doch ich hatte sie hingenommen. Es gab aber eine Grenze, und die lag beim Luchspelz.
    Auch auf Russisch heißt der Luchs ris . Für den knöchellangen Mantel, den Anita ins Auge gefasst hatte, waren meiner Schätzung nach fast zwanzig Luchse abgeschlachtet worden. Mein Puls beschleunigte sich, ich spürte, dass ich kurz vor einem Wutausbruch stand, und bemühte mich, ruhig zu atmen. Ich hatte die unterschiedlichsten Atemtechniken gelernt, doch in diesem Fall half mir keine von ihnen.
    Anita zog den Pelz an. Die beiden Verkäuferinnen eilten zu ihr, um ihr zu helfen und zu zeigen, wie sie ihn schließen sollte. Sie standen so nahe bei ihr, dass sie ihr ein Messer ins Herz rammen oder Gift injizieren konnten, ohne mir die geringste Chance zu lassen, sie daran zu hindern. Ich hätte näher herangehen müssen, doch ich tat es nicht.
    «Lynx, very beautiful», lächelte Anita die Verkäuferinnen an und wandte sich dann auf Finnisch an mich: «Was meinst du, Hilja? Ist der nicht unglaublich sinnlich? Ich fühle mich darin selbst wie eine Katze.»
    Anita hatte keine Ahnung von meiner Vergangenheit mit den Luchsen. Ich hatte ihr nur das Nötigste über mich erzählt, sie interessierte sich ohnehin nicht für meine Angelegenheiten. Dafür war sie zu sehr mit sich selbst und ihrem Erfolg beschäftigt.
    «Die Felle sind schön – an Luchsen.» Meine Stimme klang anders als sonst, als ich das sagte, wie ein tiefes Brummen. Anita fuhr zusammen.
    «Was sagst du da?» Sie wickelte den Mantel enger um sich und streichelte das weiche Fell. «Na, auf deine Meinung bin ich nicht angewiesen. I’ll take that, thank you.»
    Sie zog den Pelzmantel aus und suchte nach einer ihrer vier Kreditkarten. Das Prunkei hatte sie mit American Express bezahlt, nun war die Visa-Karte an der Reihe. Eine der Verkäuferinnen schlug den Mantel in Seidenpapier ein. Die Luchse, die dafür ihr Leben gelassen hatten, waren Katzenluchse, wie ich an der Musterung des Rückenfells erkannte.
    «Wenn du den Pelzmantel kaufst, kündige ich auf der Stelle.»
    «Was redest du denn da?» Anita drehte sich zu mir um, die Kreditkarte schimmerte zwischen ihren Fingern.
    «Du hast mich schon verstanden. Ich arbeite nicht für Menschen, die Dinge tun, die ich nicht gutheißen kann.»
    «Ich kaufe doch nur einen Pelzmantel.»
    «Einen Luchspelz.»
    Nun war es Anita, die einen Wutanfall bekam. Ich hatte zig Mal miterlebt, wie sie ihre Mitarbeiter oder das Personal in irgendeinem Geschäft oder Restaurant herunterputzte. Sie konnte es sich leisten, viel zu zahlen, und erwartete eine entsprechende Gegenleistung für ihr Geld.
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