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Die Leibwächterin (German Edition)

Die Leibwächterin (German Edition)

Titel: Die Leibwächterin (German Edition)
Autoren: Leena Lehtolainen
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ich hatte doch keine Dummheiten gemacht? Vielleicht hatte ich ein Taxi genommen und mich zum Hotel bringen lassen, bevor ich das Bewusstsein verlor. Das hoffte ich jedenfalls. Sobald ich dazu Gelegenheit hatte, musste ich per Internet mein Konto überprüfen, dann würde ich sehen, ob ich mit meiner Kreditkarte eine Taxifahrt bezahlt hatte.
    Meine Stimmung, die der Borschtsch ein wenig aufgehellt hatte, verdüsterte sich restlos, als ich wieder Anita anrief und sich ein Unbekannter auf Russisch meldete. Wieso war Anitas Telefon in der Hand eines Fremden – der nun wusste, dass sie Anrufe von meinem Anschluss bekommen hatte? Verdammt nochmal! Womöglich waren die Männer in der Bar allesamt Paskewitschs Handlanger gewesen, einschließlich des Kellners. Ich wollte diesen Gedanken nicht weiter verfolgen. Irgendwer hatte es geschafft, alle meine Sicherheitsnetze zu überwinden. Dass man es nicht einmal für nötig befunden hatte, mich zum Schein auszurauben, machte das Ganze nur noch bedrohlicher.
    Als der Zug endlich zum Einsteigen bereitstand, suchte ich mein Abteil und belegte das Einzelbett, das durch einen schmalen Gang von dem Etagenbett an der anderen Wand getrennt war. Die eine Nacht würde ich heil überstehen, selbst wenn ein kirgisischer Straßenräuber das Abteil mit mir teilte – immerhin war ich bewaffnet. Anita war nie mit dem Zug nach Russland gefahren, weil es sie ekelte, mit allen möglichen Leuten das WC teilen zu müssen. Auf meine Bemerkung, das bleibe ihr auch im Flugzeug nicht erspart, hatte sie erwidert, die Toilette der Business Class sei wenigstens nicht jedem Hinz und Kunz zugänglich.
    Der Kondukteur rief irgendetwas, dann schrillte eine Pfeife. Ruckelnd setzte sich der Zug in Bewegung. Ich streckte mich auf dem Bett aus und wartete auf den Schaffner. Der Zug würde erst in Sankt Petersburg wieder halten, mindestens bis dahin hatte ich das Abteil für mich allein. Obwohl der lange Schlaf, aus dem die Hoteldame mich gerissen hatte, nur eine chemische Illusion gewesen war, wollte es mir nicht gelingen, fest einzuschlafen. Allerdings nickte ich immer wieder kurz ein und wusste dann nicht, ob der Schuss, der mir beim Aufwachen in den Ohren hallte, Traum oder Erinnerung war. Beiderseits der Grenze wurde ich geweckt, zuerst von der Passkontrolle, dann vom Zoll, aber ich registrierte die Grenzbeamten nur im Halbschlaf und hätte im Nachhinein nicht beschwören können, dass sie tatsächlich in meinem Abteil gewesen waren.
    In Helsinki fuhr ich mit der Straßenbahn vom Bahnhof in die Untamontie im Stadtteil Käpylä, wo der größte Teil meiner Besitztümer lagerte. Mein Zimmer, in dem nur ein Bett, ein Schreibtisch und ein Sattelstuhl standen, war staubig und unpersönlich. Meine Mitbewohnerinnen waren nicht zu Hause. Ich teilte mir die Wohnung mit zwei Studentinnen, etwa zehn Jahre jünger als ich, die es zu schätzen wussten, dass ich ein Drittel der Miete zahlte, mich aber nur selten blicken ließ. Sie wussten, dass ich von Beruf Wächterin war, und ich hatte gelegentlich vage von Werttransporten gesprochen, deren Schutz mich für längere Zeit ins Ausland führte. Dass die Wohngemeinschaft mit mir gewisse Risiken einschloss, war ihnen nicht bewusst. Mir war es wichtig, als offizielle Adresse nicht das Ferienhaus angeben zu müssen, das ich in Degerby gemietet hatte und in dem ich den größten Teil meiner freien Zeit verbrachte. Da aus meinen Papieren nicht hervorging, an wen ich die Miete zahlte, war das Ferienhaus sicherer als das Zimmer in der Untamontie sieben, wo ich offiziell gemeldet war.
    Es konnte durchaus sein, dass mir jemand auf den Fersen war. Anitas Tätigkeit als Ferienhausmaklerin hatte sowohl die Finnen enttäuscht, die ihr die Grundstücke verkauft hatten, als auch die russischen Käufer, denen sie Exklusivität versprochen hatte. Ein Ferienhaus in Finnland, in der unberührten Natur, war für die Russen ein Statussymbol, das an Wert verlor, wenn Dutzende ihrer Landsleute ein ähnliches Objekt besaßen. In den Feriendörfern entwickelten die fröhlichen Slawen finnische Charakterzüge, sie verschanzten sich hinter Zäunen und zogen sogar im See Stacheldraht, um zweifelhafte Gestalten fernzuhalten. Mich hätten keine zehn Pferde dazu gebracht, in einer der Urlaubshöllen zu wohnen, die Anita verschacherte. Stellenweise ähnelte das Ufer des Saimaa-Sees bereits den Hotelghettos südlicher Urlaubsresorts.
    Ich hatte praktisch nichts zu essen in der Wohnung. Immerhin fand ich
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