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Die Leibwächterin (German Edition)

Die Leibwächterin (German Edition)

Titel: Die Leibwächterin (German Edition)
Autoren: Leena Lehtolainen
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allem Anschein nach Ferienhausgrundstücke parzelliert, denn am Straßenrand stand ein Schild mit der Aufschrift «Ufergebiet Kaavinjärvi-Rikkavesi, Flächennutzungsplan Suuriniemi».
    Offenbar war denjenigen, die den Bebauungsplan erstellt hatten, der Name Hevonpersiinsaari – Pferdearschinsel – zu unanständig erschienen, und sie hatten die Gegend für potenzielle Käufer umgetauft. Meine Mitschüler in der Sekundarstufe hatten sich über den Namen meines Wohnorts natürlich lustig gemacht, aber ich hatte ihren Frotzeleien rasch einen Riegel vorgeschoben. Mit Hilja Ilveskero spielte man besser nicht. Dass ich keine engen Freunde hatte, störte mich nicht, ich war kein Herdentier.
    Die Schranke war geöffnet, wie Hakkarainen es versprochen hatte. Ihre Existenz gab mir ein wenig Sicherheit, obwohl sie nur Fahrzeugen den Zugang verwehrte. Zu Fuß und mit dem Boot gelangte man mühelos auf die Insel, die eigentlich gar keine richtige Insel, sondern durch eine schmale Landenge mit dem Festland verbunden war. Die Dämmerung senkte sich über den Wald, es nieselte leicht. Am Wegrand wuchsen Täublinge und Preiselbeeren, und plötzlich hatte ich den Geschmack von Onkel Jaris eingelegten Preiselbeeren im Mund. Vor Paskewitsch und seinen Handlangern mochte ich hier in Sicherheit sein, doch meiner Kindheit entkam ich nicht. Zu beiden Seiten des Weges blühte Heidekraut, dazwischen standen Eimer mit Sonnenblumen. Die Hakkarainens hatten einiges getan, um die Insel zu verschönern. Natürlich hatte auch Onkel Jari die Umgebung des Hauses gepflegt, aber für Zierrat hatte er keinen Sinn gehabt. Als ich vor dem Haus anhielt, entdeckte ich gehäkelte Vorhänge an den Fenstern. Die gute Frau Hakkarainen häkelte leidenschaftlich gern, es war undenkbar, dass sie ohne Häkelzeug vor dem Fernseher saß oder mit Bekannten plauderte.
    Ich stieg aus und lauschte eine Weile. Es war fast vollkommen still, nirgendwo brannte Licht. Im September hielten sich die Leute unter der Woche nicht mehr in ihren Sommerhäusern auf. Ich suchte unter der Treppe am Schuppen nach dem Schlüssel. Der Schuppen war gestrichen worden, die braune Farbe verdeckte die Kratzer, die Frida hinterlassen hatte. Für die Hakkarainens existierte Frida gar nicht, niemand wusste, dass rund zwei Jahre lang eine Luchsin bei uns gehaust hatte. Als Matti Hakkarainen einmal gefragt hatte, wieso es vor unserem Haus nach Tierharn rieche, hatte Onkel Jari streunende Hunde dafür verantwortlich gemacht.
    Ich war acht, als Frida zu uns kam. Ich erinnere mich genau an den Abend im Juli vierundachtzig. Onkel Jari bekam einen Anruf, der ihm sichtlich unangenehm war.
    «Dieser verdammte Kauppinen», schimpfte er. «Du musst heute allein schlafen gehen. Schaffst du das? Ich komme sofort nach Hause, wenn die Sache erledigt ist.»
    «Welche Sache?»
    «Das ist nichts für Kinder. Hol dir den Nudelauflauf von gestern aus dem Keller und mach ihn in der Bratpfanne warm. Aber tu genug Butter dazu, damit er nicht anbrennt, und vergiss nicht, das Gas abzudrehen!» Onkel Jari strich sich ein paar Butterbrote als Proviant und packte eine Flasche verdünnten Blaubeersaft ein. Er tätschelte mir rasch die Wange, nahm sein Jagdgewehr und seine Flinte und ging. Als Kind wollte ich die Geschichte, wie Frida gefunden wurde, immer wieder hören, und mein Onkel erzählte sie mir, obwohl er sich für seinen Anteil daran schämte.
    Kauppinen, der ein paar Kilometer weiter einen Hühnerhof betrieb, hatte schon seit langem den Verdacht gehabt, dass ein Luchs unter den frei auf dem Hof herumlaufenden Hühnern wilderte, und ein paarmal hatte er das Raubtier sogar von weitem zu Gesicht bekommen. An diesem Abend hatte Kauppinen seinen Hofhund, eine Mischung aus Finnischem Spitz und Karelischem Bärenhund, von der Leine gelassen. Der Hund hatte die Fährte des Luchses aufgenommen und den Räuber in seinen Bau getrieben. Kauppinen hatte Onkel Jari und zwei weitere Bekannte angerufen, die es mit der Schonzeit nicht so genau nahmen. Die Jagd auf Luchse war nur von Dezember bis Februar erlaubt, doch Kauppinen wollte den Hühnerdieb sofort loswerden.
    Der Luchs nistete in einem Dickicht am Berg Maarianvaara. Als Onkel Jari endlich dort eintraf, war der Hund schon weggebracht worden. Am Bau lauerten Kauppinen, Hakkarainen und Seppo Holopainen, mit dem mein Onkel sich nicht gut verstand. Die Männer warteten darauf, dass der Luchs aus seinem Loch kam. Er musste ausgehungert sein, denn sonst wäre er nicht schon
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