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Die dritte Todsuende

Die dritte Todsuende

Titel: Die dritte Todsuende
Autoren: Lawrence Sanders
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sie?« fragte Monica am Abend.
    »So gewöhnlich, daß es schon wieder auffällt. Miß Nichts.«
    »Hübsch?«
    »Nein, aber auch nicht häßlich. Durchschnittlich. Ganz einfach durchschnittlich. Sie könnte viel mehr für sich tun, als es der Fall ist. Sie trägt kein Make-up, zumindest habe ich keins festgestellt. Mausfarbenes Haar. Die Kleidung hauptsächlich braun, schwarz und grau. Erdfarben. Sie bewegte sich sehr langsam, vorsichtig. Fast wie eine Invalide oder eine doppelt so alte Frau. Einmal habe ich gesehen, wie sie plötzlich stehenblieb und sich an einen Laternenpfahl klammerte, als fühlte sie sich schwach oder schwindlig. Vernünftige Schuhe. Vernünftige Kleidung. Nichts Helles oder Fröhliches an ihrer Erscheinung. Sie trägt eine Schultertasche, hält sie aber mit beiden Händen fest. Ich vermute, darin bewahrt sie das Messer auf. Wenn ihr jemand entgegenkommt, tritt sie immer als erste beiseite. Sie geht nie bei Rot über die Straße, nicht einmal, wenn weit und breit kein Auto zu sehen ist. Sehr vorsichtig. Sehr zurückhaltend. Befolgt alle Regeln. Als sie zum Mittagessen ging, hatte ich den Eindruck, daß sie mit sich selbst redete, aber ich bin nicht sicher.«
    »Edward, wie lange willst du das machen — ihr auf diese Weise folgen?«
    »Du hältst das für morbide Neugier, nicht wahr?«
    »Sei nicht albern.«
    »Sicher tust du das«, sagte er. »Aber es ist keine. Wenn ich auch zugebe, daß die Frau mich fasziniert.«
    »Das glaube ich dir«, sagte Monica. »Sieht sie traurig aus?«
    »Traurig?« Er überlegte einen Moment. »Weniger traurig als besiegt. Ihre Haltung ist schlecht, und ihr Teint ist schrecklich. Schmutzigbleich. Ich glaube, Dr. Ho und ich hatten recht; sie steht vor einem Zusammenbruch.«
    »Ich wünschte, du würdest das nicht tun, Edward — ihr nachgehen, meine ich.«
    »Warum nicht?«
    »Ich weiß nicht… es kommt mir einfach indiskret vor.«
    »Du bist eine liebe, süße Frau«, sagte er, »und du hast nicht die geringste Ahnung, wovon du sprichst.«
    Am Donnerstag beschattete er Zoe nach dem gleichen Schema. Er richtete es so ein, daß er ihr entgegenkam, als sie auf die Madison Avenue zuhielt. Er ging dicht an ihr vorbei und erhaschte einen guten Blick auf ihre Gesichtszüge.
    Sie erschienen ihm gespannt und eingefallen, die Nase spitz, die Wangen ausgehöhlt. Ihre Lippen waren trocken und leicht geöffnet. Die Augen schienen auf eine Welt jenseits aller Welten gerichtet. Ihr ganzes Gesicht hatte etwas Schlafwandlerisches.
    Keine Brüste, soweit er sehen konnte. Sie wirkte flach wie ein Brett.
    Als sie um kurz nach fünf aus dem Hotel trat und sich in Richtung Zentrum wandte, war er bereits da und folgte ihr. Bentleys Polizistin ging auf der anderen Straßenseite.
    Die Verdächtige verschwand in einem Schnellimbiß an der Madison Avenue. Delaney schlenderte bis zur Ecke, wandte sich um und ging zurück. Er stand vor dem Restaurant und betrachtete die Speisekarte, die mit Tesafilm an die Innenseite der Spiegelglasscheibe geheftet war.
    Zoe Kohler saß an der Theke und wartete darauf, bedient zu werden. Jedermann in dem Lokal aß oder redete. Niemand schenkte den Geschehnissen auf der Straße die geringste Aufmerksamkeit. Auch nicht dem großen, stämmigen Mann, der durch die Frontscheibe spähte.
    Delaney ging weiter, sah sich die Auslagen in ein paar Schaufenstern an, kehrte zu dem Schnellimbiß zurück. Jetzt hatte Zoe Kohler einen Teller vor sich stehen und trank aus einem Glas, in dem Tee zu sein schien.
    Wäre Edward X. Delaney ein Mann der dramatischen, theatralischen Geste gewesen, hätte er sich jetzt wütend vor den Kopf geschlagen. Er hatte nicht daran gedacht. Keiner von ihnen hatte daran gedacht. Wie hatten sie nur so gottverdammt dumm sein können?
    Er trödelte weiterhin vor dein Schnellimbiß herum. Gelegentlich blickte er auf seine Uhr, um den Eindruck zu erwecken, als wartete er auf eine verspätete Verabredung. Er sah, wie Zoe Kohler sich die Lippen mit einer Papierserviette abtupfte, Handtasche und Rechnung ergriff und aufstand.
    Sofort stürmte er hinein. Als sie auf die Kasse zuging, drängte er sich an ihr vorbei.
    »Entschuldigung«, sagte er, lüftete seinen Hut und trat zur Seite.
    Sie lächelte ihn kurz und schüchtern an. Ein Flackern.
    Er ließ sie gehen und schob sich auf den Barhocker, den sie gerade verlassen hatte. Vor ihm stand ein Teller mit den Überresten eines Thunfischsalats und ein Bodensatz von Tee in einem großen Glas. Er
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