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Die drei Lichter der kleinen Veronika

Die drei Lichter der kleinen Veronika

Titel: Die drei Lichter der kleinen Veronika
Autoren: Manfred Kyber
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über das Meer auf sie zu und blieb vor ihr stehen.
    »Das ist dein Garten, Veronika«, sagte der Engel.
    Veronika trat ans Ufer über weißen Sand und schimmernde Muscheln. Leise rauschten die Baumkronen über ihr, und tausend Blüten öffneten ihre Kelche. Vögel sangen in den Zweigen, und Tiere und seltsame Märchenwesen huschten im Garten umher. Doch es tat keiner dem anderen etwas, sie waren alle in Frieden untereinander, denn es war Gottes Garten und der Schöpfung Jugendland.
    Mitten aber unter blühenden Blumen saß Mutzeputz, durchlichtet und vom Licht umflossen.
    Da sank Veronika in die Knie und weinte. Es war ein innerliches Weinen der Seele, ohne Tränen und ohne Schmerz, wie das Zittern einer Saite, die bis zum Springen gespannt ist.
    Veronikas Insel glitt ins kristallene Meer hinaus, an anderen gleitenden Inseln vorüber. Überall schauten bekannte Gesichter zu ihr hinüber und grüßten sie – Geister aus vielen vergangenen Leben, die sie wiedersah. Es war so viel auf einmal, und eine seltsam selige Schlummersehnsucht regte sich in ihr, Frieden und Wunschlosigkeit der Erfüllung.
    »Wir werden dich bald besuchen«, riefen die Geister von den anderen Ufern, »wir freuen uns so, daß du wieder da bist. Du bist lange fort gewesen, und wir haben uns nach dir gesehnt.«
    »Nun ruhe dich aus, Veronika«, sagte der Engel, »wenn du wieder erwachst, pflegst du deinen Garten. Und jetzt schau hinaus übers Meer, drüben liegt Montsalvat, und seine Tore und Türme schimmern im Morgenlicht. Auf sein Gestade treibt deine Insel zu. Dort wirst du lernen, Schild und Schwert und die silberne Rüstung zu wirken, denn der Gral hat dich gerufen.«
    Da legte sich Veronika unter die blühenden Blumen in ihrem Garten, Mutzeputz und Magister Mützchen im Arm, und schlief ein, ein Kind und geborgen, und bewußt ihrer Kindheit und ihrer Geborgenheit. Bewußte Kindheit ist Seligkeit ...
    Der Engel stellte ihr zu Häuptern den Leuchter auf einen Altar, und in reiner goldener Flamme brannten die drei Lichter der kleinen Veronika im Garten Gottes.
    Die Insel aber glitt langsam ins Morgenlicht über das kristallene Meer nach dem Gestade von Montsalvat.
    Es war ein schwerer und dunkler Tag im Hause der Schatten, als sie den irdischen Leib der kleinen Veronika zur letzten Ruhe brachten.
    »Es ist bei euch mehr zu Asche geworden als bei mir, Johannes«, sagte Ulla Uhlberg, »aber wir wollen wieder aufbauen, das ist unsere Bestimmung.«
    »Ich will es versuchen«, sagte Johannes Wanderer.
    Der blöde Peter redete kein Wort. Er vergrub das Gesicht hilflos in Zottels Fell.
    Auch Aron Mendel war gekommen. Er ging nicht aufrecht, wie man ihn zuletzt gesehen, sondern gebeugt, wie damals, als er noch den schweren Kasten schleppte. Er wußte es, die Bürde, die man heute im Hause der Schatten trug, war schwerer, als alle die Lasten, die er jemals getragen. Der Regen rann. Im Garten fielen die Blätter.
    *
    Es war ein tiefer Winter, in dem das Haus der Schatten eingeschneit war. Aber auch der tiefste Winter geht vorüber und der Frühling kommt. Das Eis war krachend und berstend die Flüsse hinabgegangen in die wilde Brandung der See, der erste grüne Schleier hing an den Birken, und im Wald blühten die Anemonen.
    Johannes Wanderer stand im Garten und grub die Erde um für eine neue Saat. Krokus und Veilchen waren schon herausgekommen. Das Leben begann von neuem. Aber Johannes Wanderer sah alt aus, die Bürde dieses Winters war allzu schwer gewesen, und er trug immer noch an ihr.
    Jetzt sah er von der Arbeit auf. Peter war durch die Gartentüre gegangen und kam mit Zottel zusammen eilig auf ihn zugelaufen. Das war sonst nicht seine Art. Er war still und langsam in allem. Das Gesicht des Blöden strahlte eine seltsam innerliche Freude aus, und die ratlos suchenden Augen hatten etwas Verklärtes.
    »Ich habe heute nacht von Veronika geträumt, Onkel Johannes«, rief er, »sie sah so wunderbar aus, ganz weiß und licht, und sie sagte zu mir: Es ist Morgen geworden. Peter, geh zu Onkel Johannes und erzähle es ihm.«
    Johannes Wanderer ließ den Spaten sinken.
    »Es ist Morgen geworden?« wiederholte er leise, »hat sie dir das gesagt?«
    »Ja, Onkel Johannes, und Ulla Uhlberg kommt auch gleich her, sie kam eben angefahren, und ich habe es ihr schon erzählt. Veronika sagte mir auch, ich solle es aufschreiben, was sie mir gesagt hat. Ich will das tun.«
    »Kannst du denn jetzt schreiben, Peter?«
    »Ich glaube es«, sagte der Blöde.
    Johannes
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