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Die drei Lichter der kleinen Veronika

Die drei Lichter der kleinen Veronika

Titel: Die drei Lichter der kleinen Veronika
Autoren: Manfred Kyber
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auch andere in ihren Augen anders aus als früher, zum Beispiel Onkel Johannes? Veronika dachte darüber nach. Dann warf sie den Kopf zurück.
    »Ich muß doch nett aussehen, wenn ich nach Irreloh gehe«, sagte sie.
    »Die Männer werden staunen, wenn sie dich sehn, Veronika«, meinte der blöde Peter.
    Es war ein seltsamer Unterton in seiner Stimme. Veronika fühlte es wohl.
    »Ich mache mir nichts aus den Männern«, sagte sie hochmütig.
    »Auch aus mir nicht, Veronika?« fragte Peter leise.
    »Ach, du«, meinte Veronika lachend, »dich rechne ich doch gar nicht dazu, wenn ich von den anderen rede.«
    Es war gut gemeint, was Veronika dem Spielgefährten sagte. Aber Peter empfand das Ausschließende der Worte darin, er wußte es ja, daß er nicht zu den anderen gehören konnte. Er senkte den Kopf, und seine Hand griff hilfesuchend in Zottels Fell, wie er es stets als Knabe getan hatte, wenn er einen Halt suchte. Der Hund war alt geworden mit Peter, und er kannte jede Regung in der verschüchterten Seele des Blöden.
    Veronika begriff, daß sie Peter gekränkt hatte.
    »So mußt du das nicht auffassen, Peter«, sagte sie herzlich, »du und ich, wir stehen doch wie immer zueinander, und es wäre überhaupt viel netter, wenn du auch mitkommen würdest. Dann könntest du mich beschützen.«
    »Onkel Johannes ist ja dort«, sagte Peter.
    Über Veronikas Gesicht flog eine feine Röte.
    »Ach ja«, sagte sie befangen, »natürlich ist Onkel Johannes dabei.«
    Magister Mützchen guckte aus seiner Pappschachtel heraus und grinste. Veronika fand, daß Magister Mützchen in der letzten Zeit dazwischen ein wenig frech wurde.
    »Du siehst aus wie eine Königin, Veronika«, sagte Peter mühsam – es war ihm schwer, die Worte zu formen für das, was er sagen wollte. »Ich würde ein Gedicht auf dich machen, wie es die Ritter für ihre Königinnen taten. Aber ich kann das nicht. Ich kann ja noch immer nicht schreiben. Ich male nur so die Buchstaben einzeln hin, aber ich kann sie nicht verbinden, nein, ich kann es nicht, es fehlt mir da immer etwas. Ach, Veronika, es ist mir oft so, als ob eine Nacht um mich ist. Ich kann es nicht anders beschreiben, aber so ungefähr ist es.«
    Peter sah sehr traurig aus.
    Veronika faßte seine Hände und blickte ihm gerade in die Augen, die sich langsam mit Tränen füllten.
    »Es wird einmal Morgen werden, Peter, glaube es mir.«
    »Ich glaube es«, sagte der blöde Peter andächtig.
    Wenige Minuten darauf fuhr Veronika im Schlitten in den Winterabend hinaus nach Schloß Irreloh.
    *
    Kennt ihr die nordische Winternacht? Wißt ihr, was es heißt, auf blanken Kufen lautlos über einen Teppich von glitzerndem Schnee zu gleiten? Alles ist weiß und weit, und wo es endet, ist bläuliche Dämmerung, die mit goldenen Sternen bestickt ist. Schwer beugen sich die Tannenäste unter der Last des Schnees, und wenn ihr an einsamen Gehöften vorbeifahrt wie ein huschender Schatten, so glüht ein gedämpftes Licht aus dem Fenster, und an den verschneiten Dächern hängen blitzende Eiszapfen. Alles ist seltsam verschleiert, gleichsam nur halb vorhanden und mit einem Mantel aus abertausend Kristallen bedeckt. Aber es ist der Königsmantel des Märchens, es glänzt in ihm von unzähligen Diamanten, und unter ihm atmet das Ja des Lebens in der schneidenden Kälte so heiß wie noch nie. Es ist einem, als wäre nichts unmöglich, als müßten verwunschene Wunder und blaue Blumen aus Eis und Schnee erblühen. – und man gleitet immer weiter und weiter ins Grenzenlose! ...
    So fuhr Veronika nach Schloß Irreloh.
    »Karneval in Florenz« hatte Ulla Uhlberg ihr Fest genannt, und die vielen bunten Masken im kerzenschimmernden Saal sollten den Süden in die Schneenacht Irreloh bringen. Kostbare Blumen aus den Treibhäusern hatte sie kommen lassen, sie neigten die Kelche in geschliffenen Vasen und hauchten den Duft des Sommers in die Herzen und Sinne der Menschen.
    Aber Irreloh war nicht Florenz. Hingen nicht in den alten Gängen und Hallen noch welke Kränze aus vergangener Zeit, unsichtbar von unsichtbaren Händen gewunden? Seltsam mischte sich ihr Modergeruch mit dem Atem der frischen Blüten, aber man achtete nicht darauf. Zuckte nicht auch ein irrer Feuerschein durch die festlichen Kerzen und lösten sich nicht schleichende Schatten von den grauen Wänden, um sich in den Tanz der Lebendigen zu reihen? Las niemand die Zeichen und Lettern von Irreloh?
    Ach, Ulla Uhlberg, Irreloh ist nicht Florenz. Aber du hast die
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