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Die drei Lichter der kleinen Veronika

Die drei Lichter der kleinen Veronika

Titel: Die drei Lichter der kleinen Veronika
Autoren: Manfred Kyber
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herum. Aber es war ein bunter und lustiger Reigen, und es lohnte sich schon, hineinzugucken.
    Ach, kleine Veronika, wüßtest du, wie bald die Dämmerung kommt, du würdest dich nicht satt sehen und hören können, und dir wäre, als müßtest du alle Bilder und alle Stimmen im Garten der Geister tief in die Seele atmen, daß sie immer darin bleiben. Nachher ist alles so dunkel, wenn die himmlischen Augen sich schließen.
    Wie klar und wie durchsichtig war jetzt alles anzuschauen, als ob die Sonne die Erde durchlichte und als wäre alles aus feinerem Stoffe gewoben. Der ganze Garten war voller Gestalten. In der Luft tanzten sie, und wenn man in die Bäume hineinguckte, dann sah man die Elfen darin stehen und mit den
    Händen winken. Es rauschte und raunte aus allen Ecken, und sogar die bunten Kieselsteine bewegten sich, als wären es Murmeln, die mit sich selber spielten. Und mitten in all das leuchtende Leben warf plötzlich mit leisem Lachen die Quellnixe ihre silbernen Wasserkugeln, daß sie in feinem Sprühregen in der zitternden Luft zerstoben. Sie konnte das ganz einfach machen, wenn sie bloß mit der Hand spritzte. Man muß es nur einmal gesehen haben, es sieht wirklich wunderhübsch aus.
    »Willst du mit meinen blanken Bällen spielen, Veronika?« rief die Quellnixe, »willst du Diamanten auf deinem Kleid, wie die Königstochter im Märchen? Das kannst du alles haben, das Märchen ist hier, wir sind ja im Garten der Geister!«
    Veronika fing einen der blanken Bälle auf, aber er zerging ihr in der Hand. Das kam, weil der Garten der Geister am Haus der Schatten lag, darum müssen hier die silbernen Märchenbälle zerspringen, weil sie zu nah an der Dämmerung sind. Das aber wußte die kleine Veronika noch nicht.
    Doch jetzt bemerkte sie, wie es an ihren nackten Beinen juckte. Ein feiner Fühler strich darüber hin, gleichsam, um an etwas zu erinnern.
    »Hättest du jetzt nicht Zeit, dir mein Landhaus zu betrachten?« fragte der Käfer, und es war vernehmlich ein Ton von Unwillen in seiner schwachen Stimme. »Ich bin gewiß geduldig, aber so etwas ist mir noch nicht vorgekommen, daß jemand einfach dasitzt und ins Leere starrt, wenn man ihn auffordert, ein Landhaus zu besichtigen. Glaubst du, daß es ein gewöhnliches Landhaus ist? Das wirst du nicht mehr denken, wenn du es erst gesehen hast.«
    »Bitte entschuldige«, sagte Veronika, »aber es gibt hier so viel zu hören und zu sehen. Mir ist ganz wirr im Kopf davon, und doch ist das alles wunderschön.«
    »Ja, gewiß ist es ganz schön, sagte der Käfer, »aber es kann doch nicht irgendwie mit meinem Landhaus verglichen werden. Komm nur endlich mit, es ist ganz nahe von hier, nur einige hundert Schritte.«
    »Einige hundert Schritte ist gar nicht so nahe«, meinte Veronika, »da brauchst du doch sicher eine ganze Weile, um hinzukrabbeln. Ich mache das freilich schneller.«
    »Nach meinen Beinen einige hundert Schritte«, sagte der Käfer, »nach meinen Beinen gemessen. Ich messe alles nur nach meinen Beinen, das tut ein jeder, der etwas auf sich hält. Die eigenen Beine sind eben das, worauf man sich am ehesten verlassen kann.«
    »Gerade darum dachte ich an meine Beine und nicht an deine«, sagte Veronika, »und ich muß überhaupt erst einmal Mutzeputz fragen, ob ich mir dein Landhaus ansehen darf. Ich tue nichts ohne Mutzeputz.«
    Der Kater Mutzeputz war die Vertrauensperson der kleinen Veronika und immer in ihrer Nähe. Er strich auf samtenen Pfoten zwischen Rosen und Lilien umher, begutachtete den Kohl und beaufsichtigte die Radieschen – in jeder Hinsicht sah er nach, ob alles in Ordnung war. Dazwischen spielte er mit Kieselsteinen. Wenn sie sehr rund waren, konnte er nicht daran vorübergehen. Denn das erheiterte ihn.
    »Mutzeputz!« rief Veronika, »bitte, komm doch einmal her.«
    Der Kater Mutzeputz kam sonst niemals, wenn man ihn rief. Man muß das den Leuten nicht einbilden, dachte er. Nur wenn Veronika nach ihm verlangte, erschien er unverzüglich. Denn sie bat ihn immer höflich, und außerdem war er der Überzeugung, daß sie ihn benötige und ohne seinen Rat nichts unternehmen könne. Er fühlte eine Verantwortung für sie, und das war auch wirklich in vielem zutreffend. Noch nie hat man es zu bereuen gehabt, wenn man sich auf jemand wie den Kater Mutzeputz verließ.
    Mit seinen schönen gleitenden Bewegungen strich Mutzeputz an den Füßen der kleinen Veronika, und die Sonne warf blitzende Lichter über sein weiches Fell. Er war grau
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