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Die drei Lichter der kleinen Veronika

Die drei Lichter der kleinen Veronika

Titel: Die drei Lichter der kleinen Veronika
Autoren: Manfred Kyber
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Wanderer ging ins Haus und brachte Peter Papier und Bleistift.
    »Wenn du es glaubst, wirst du es auch können. Versuche, es aufzuschreiben.«
    Peter setzte sich und legte das Papier sorgsam auf seine Knie. Dann schrieb er mit großen, ungelenken Buchstaben, aber in einem Zuge: Es ist Morgen geworden.
    In seinen Augen waren Tränen. Johannes Wanderer und Zottel standen dabei und schauten auf Peters erste Schriftzüge.
    Es war dies ein großer Augenblick im Leben des Blöden und dessen, der ihn betreut.
    Über den Weg kam Ulla Uhlberg gegangen.
    »Peter kann schreiben«, sagte Johannes Wanderer zu ihr, »er hat geschrieben, daß es Morgen geworden ist. Veronika hat es ihm gesagt.«
    »Dann laß es auch für uns alle Morgen werden, Johannes. Sieh einmal, auch ich habe es gelernt, mein Leben nur zu bejahen, indem ich alles Leben bejahe und heilige. Ich will Irreloh neu bauen, aber anders, als es war. Es soll Menschen und Tieren eine Hilfe werden, es gibt ja so viele, die Hilfe brauchen. Auch für dich und für Peter gäbe es da vieles zu tun. Wenn ich so das Leben bejahe, Johannes, willst du mir dann dabei helfen?«
    »Ja, das will ich tun, Ulla Uhlberg«, sagte Johannes Wanderer, »wir wollen zusammen die Erde umgraben für eine neue Saat, für das Jugendland der Lebenden und der Toten.«
    Und er stieß den Spaten tief in die feuchte Frühlingserde.
    *
    In dieser Nacht saß Johannes Wanderer noch lange wach, und vor ihm brannten wieder die Kerzen zum Bildnis von den drei Lichtern der kleinen Veronika. Es war still und friedvoll, aber auch sehr, sehr einsam im Gartenhaus.
    Es war nach Mitternacht, da wurde es licht im Zimmer, und Veronika stand darin. Sie sah größer aus als früher, wie ein erwachsenes junges Mädchen.
    »Johannes«, sagte sie leise.
    »Bist du endlich wiedergekommen, Veronika?«
    »Ja, Johannes, es ist ja Morgen geworden.«
    »Die Nacht war dunkel und lang, Veronika.«
    »Ich weiß es, Johannes, du hast eine Bürde für mich auf deine Schultern genommen, ich danke dir dafür. Ich weiß es auch, daß es eine schwere Bürde war.«
    »Die Bürde war schwer, weil ich dich sehr liebte, Veronika, und weil ich mich sehr nach dir gesehnt habe.«
    »Ich habe mich ausruhen müssen, Johannes, man erlebt so viel auf dem Weg über die silberne Brücke. Darum kam ich nicht eher. Aber ich werde nun oft zu dir kommen. Auch Peter habe ich besucht, und ich war im Hause der Schatten bei Mama und bei Tante Mariechen. Aber sie sahen mich nicht. Du mußt ihnen helfen, daß sie mich sehen, Johannes.«
    »Ich habe das schon oft versucht, Veronika, ich habe es viele Male versucht. Sie sind noch so sehr in dieser Welt befangen. Aber sie tragen eine schwere Bürde um dich und unter der Last werden sie lernen, mit den Augen der Tiefe zu sehn. Sei oft bei ihnen, Veronika, einmal werden sie dich sehen oder sie werden dich ahnen. Dann werden sie den Frieden finden und den Weg ins Licht.«
    »Ich will das tun, Johannes, und auch zu dir werde ich nun häufig kommen. Mitternacht ist vorüber und es ist Morgen geworden. Der Gral ruft alle seine Streiter auf für der Menschheit Jugendland. Ich wirke mir die silberne Rüstung, Schild und Schwert, und ich werde an deiner Seite stehen, wenn der Kampf mit den dunklen Mächten beginnt und du deinen Schild hältst über denen, die wehrlos sind.«
    »Das ist ein schöner Gedanke, Veronika, das war es immer, was ich mir gewünscht habe, daß du so an meiner Seite stehst. Der Preis ist den Kampf wert, und wir werden siegen, Veronika.«
    »Ja, Johannes, wir werden siegen, und der zerstörte Tempel wird wieder aufgebaut. Lebe wohl, Johannes, ich werde bald wiederkommen.«
    »Ja, komme bald wieder, Veronika.«
    Veronika löste sich auf im Licht, aus dem sie kam.
    Johannes Wanderer saß reglos vor den Kerzen, bis sie herabbrannten.
    Die Nacht war zu Ende. Es wurde hell, und Johannes Wanderer trat in den Garten hinaus.
    Die Sonne war aufgegangen.
    In der jungen Frühlingserde leuchteten die ersten blühenden Blumen im gleichen Morgengold, wie oben in Gottes Garten die drei Lichter der kleinen Veronika.
    *
    Es ist eine Ferne, die war, von der wir kommen.
    Es ist eine Ferne, die sein wird, zu der wir wandern.
    Und doch ist alle Ferne nahe, wenn man es recht begreift.
    Baut ihr Tempel und helle Hütten, zündet die Lichter an, ihr, die ihr heute atmet, und denkt daran: Mitternacht ist vorüber und es ist Morgen geworden.

     

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