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Die drei Lichter der kleinen Veronika

Die drei Lichter der kleinen Veronika

Titel: Die drei Lichter der kleinen Veronika
Autoren: Manfred Kyber
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in der Mitte warf seinen reinen, klaren Schein über den Weg in jene Welt.
    Im Garten fielen die Blätter, und die Blumen waren verwelkt. Und doch war es wieder ein Garten der Geister, wie ihn Veronika einmal als Kind gekannt.
    Die Tiere lagen geborgen im Winterschlaf, aber sie sahen alle auf.
    »Gesegnet sei dein Weg, Veronika«, sagten sie, »du wanderst nach Montsalvat, hilf uns erlösen.«
    Die Elfe im Baum nickte Veronika zu, und die Nixe im Quell warf ihre blanken Bälle hoch in die Luft.
    »Schneewittchen schläft im gläsernen Sarg«, riefen sie, »denke daran und hilf, sie und uns alle daraus zu erwecken, kleine Veronika.«
    Tief in der Erde unten regten sich die Keime der Pflanzen und sprachen vom Frühling, der kommen muß, und unter den Steinen flammte im Dunkel ein diamantener Schein.
    Jetzt standen sie vor der silbernen Brücke, und die Luftgeister mit bunten Falterschwingen umgaukelten sie.
    »Nun bist du wie wir, Veronika«, sagten sie.
    Es war alles so wie damals, als Veronika noch ein Kind war, und doch war es anders, war größer und stärker.
    Da, wo die Brücke begann, waren die Erde und die Steine klar wie aus Glas, und es blühten um sie durchlichtete Lilien und Rosen und tausend andere Blumen.
    »Sieh, wie weiß unsere Blüten sind«, sagten die Liliengeister, »so rein und so weiß ist das himmlische Hemd, das du nun wieder trägst.«
    »Schau, wie rot unsere Kelche sind«, sagten die Rosenseelen, »so rein und so rot ist der Kelch des Grales, nach dem du heute wieder die Arme ausstreckst.«
    Lautlos und ohne Schwere schwebten Gestalten von Menschen und Tieren über die Brücke, und auch sie waren durchdrungen von jenem Licht, das Blumen und Steine erhellte.
    Ohne Schwere, wie sie, betrat Veronika die silberne Brücke, und sie nahm Magister Mützchen bei der Hand, damit er ihr nicht verlorengehe.
    Am Rande der Brücke stand eine schwarze Gestalt. Veronika zauderte einen Augenblick.
    »Fürchte dich nicht, Veronika«, sagte der Engel freundlich, »du brauchst ihm nicht ins Gesicht zu sehen. Du gehst dieses Mal ohne Schuld über die silberne Brücke. Er, der dort steht, führt die Menschenseelen, die das Licht nicht sehn wollten, hinab in die Täler der Tiefe, bis sie es lernen, in Gottes Garten hinaufzufinden. Es wandern die meisten erst durch die Täler der Tiefe zum Licht, und es sind mühsame Wege, die sie gehn müssen. Sie haben es selbst gewollt, denn Menschen und Tiere klagen sie an, und sie müssen sühnen.«
    Veronika schritt an der schwarzen Gestalt vorüber. Die schwarze Gestalt sah sie nicht an.
    Veronika warf einen Blick hinab in die Täler der Tiefe. Sehr tief waren sie, und es waren viele dunkle, verworrene Wege darin. Aber alle Wege führten zum Gipfel hinauf und zum Licht.
    Nun endete die silberne Brücke und glitt hinüber in ein kristallenes Meer. Es war klar und regte sich ohne Aufhören, lebendig in sich selber, ohne Wellen zu werfen. Veronika tauchte hinein, aber sie ging nicht darin unter. Auch das hatte sie ja schon einmal erlebt in jener Nacht der vielen bunten Bilder. Doch es war damals nur ein kleiner Teil davon, und hier dehnte er sich ins Uferlose. Das Wasser bestand aus lauter feinen Perlen, und es drang ganz in sie hinein. Die Müdigkeit der letzten Erdenzeit war ihr mit einem Male genommen, und ihr schien es, als sei all ihr Wesen befreit und erneut, wie an einem allerersten Tage, den sie sah und lebte.
    Der Engel reichte ihr die Hand, und sie stieg wieder auf. Magister Mützchen war neben ihr und hüpfte auf seinen dünnen Beinen über das Wasser.
    Nun weitete sich ihr Blick, und sie sah viele Inseln mit blühenden Gärten darauf.
    »An der schwarzen Gestalt bist du vorübergeschritten und an den Tälern der Tiefe«, sagte der Engel, »es ist ein anderer, der dich rief und zu dem ich dich geleite.«
    Da schaute Veronika auf, und sie sah Jesus Christus vor sich stehen. Sie erkannte ihn, denn er glich dem, der dem alten Aron Mendel den schweren Kasten auf der staubigen Landstraße abgenommen hatte. Es ging ein Morgenlicht von ihm aus über alle Inseln und Gärten Gottes im kristallenen Meer.
    Er reichte Veronika die Hand.
    »Wir alle freuen uns, daß du hier bist, Veronika«, sagte er in einer Einfachheit und Güte, die größer und göttlicher war, als alle Welt der Wunder um ihn. »Dein Garten wartet auf dich, pflege ihn weiter.«
    Veronika konnte kein Wort hervorbringen. Aber ein Gefühl der Geborgenheit überkam sie, das ohne Gleichnis war.
    Eine Insel glitt
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