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Die drei Lichter der kleinen Veronika

Die drei Lichter der kleinen Veronika

Titel: Die drei Lichter der kleinen Veronika
Autoren: Manfred Kyber
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Ulla.«
    »Meinst du die Pest von Florenz, weil du dieses Jahr nanntest?«
    »Ja, Ulla, auch das.«
    »Aber, Johannes, das ist ja nun gewesen, und wenn vieles schrecklich war, so war doch auch manches sehr schön, und mir ist es, als ob ich mich daran erinnere. Können wir nicht ein Stück von diesem Wege wieder zusammengehen?«
    »Es ist nicht gut, Ulla, wenn man zurückgeht. Wenn man sich wiederfindet aus alten Zeiten, muß man vorwärts schauen und Neues baun.«
    »Ist es denn unrecht, Johannes, eine glückliche Stunde zurückzurufen?«
    »Ein Unrecht ist es gewiß nicht, Ulla, es wäre ja töricht, zu denken, daß geistige Gesetze nach dem engen Maßstab von Spießbürgern messen. Ein Unrecht tritt nicht zwischen klare Seelen, aber es ist jetzt vielleicht unwesentlich, was damals wesentlich war. Und ruft man eine Stunde wieder, kommt manches ungerufen mit.«
    Ulla Uhlberg neigte den Kopf in königlicher Demut, wie es nur innerlich große Frauen verstehn.
    »Mir ist es heute noch wesentlich«, sagte sie leise, »küsse mich noch einmal, wie damals, Johannes.«
    Da beugte sich Johannes Wanderer herab und küßte Ulla Uhlberg.
    Fern schlug eine Uhr. Eine Rose schwankte im kristallenen Kelch und streute ihre Blätter lautlos auf den Boden.
    Johannes Wanderer ging allein in die kalte klare Winternacht hinaus. Es hatte aufgehört zu schneien, und die Sterne standen golden am Himmel.
    Ulla Uhlberg war in ihrem Boudoir zurückgeblieben und träumte mit halb geöffneten Lippen lange vor sich hin. Ihr Fuß berührte die Rosenblätter auf dem Teppich.
    Dann erhob sie sich und dehnte sieghaft die Glieder vor dem hohen Spiegel. Ja, sie war schön, heute wie damals, sie war die vornehme Florentiner Dame aus jenen Jahren – wann war es doch? Um 1527 hatte Johannes gesagt. Heute war ihr Karneval gewesen, der Karneval ihres Lebens, der Karneval von Florenz!
    Noch einmal wollte sie ihr eigenes Bild betrachten, das Johannes berauscht hatte, ihn, den sie damals liebte und heute und immer lieben würde. Und war es ein Rückweg – sie konnte sich keinen schöneren denken! Oder war es unwesentlich, wie Johannes meinte? Ach, nein, das war es ihr ganz gewiß nicht.
    Ulla Uhlberg lachte glücklich und schaute in den Spiegel hinein.
    Aber es war nicht ihr Bild, das ihr der Spiegel zurückwarf. Ein dürres Gerippe in Lumpen stand darin, mit einer Geißel in der gelben Knochenhand und mit einer Maske vor dem Gesicht. Nun nahm es die Maske ab, und ein gräßlicher Totenkopf starrte sie an aus leeren Augen. Die Pest von Florenz!
    Ulla Uhlberg schrie auf und flüchtete in ihr Schlafzimmer.
    Diese Nacht war keine Karnevalsnacht, und Ulla Uhlberg träumte nicht von den Küssen des Geliebten. Sie sah Fackeln in dunklen Gassen, vermummte Gestalten, die verhüllte Bahren trugen, und sie hörte die Kirchenglocken das Miserere jammern. Es war der Karneval von Florenz, den sie gerufen.
    Sie erwachte früh am Morgen und versuchte den Fieberspuk der Nacht zu vergessen. Das alles war ja Unsinn und Täuschung! Wirklich waren nur die Küsse, die sie mit Johannes getauscht. Und war sie nicht jung und schön und stark genug, um allen Gespenstern die Stirn zu bieten?
    Sie schaute zum Fenster hinaus. Vielleicht, daß sie noch die Spuren von Johannes im Schnee entdecken konnte. Er war ja durch den Park gegangen, den Weg nach dem Hause der Schatten. Aber draußen war frischer Schnee gefallen, und alles lag tief unter der weißen Decke. Wie schnell ist eines Menschen Spur verweht! Der Schnee fällt über Nacht darüber, und es ist, als wäre nie ein Fuß über diesen Boden gegangen ...
    Ulla Uhlberg raffte sich auf.
    Mochten die Spuren des Geliebten verschneit sein – in ihr brannten sie weiter, in ihrem Herzen schlugen die Stunden von gestern und riefen in ihrem Blut! Nur das war lebendig, alles andere war Schatten und Fiebertraum. Nein, es war kein Rückweg gewesen, sie wollte es nicht, daß es ein Rückweg war. Das gräßliche Spiegelbild der Nacht war nichts als Täuschung, es mußte Täuschung sein, und sie wollte es sich selber beweisen. Sie duldete keinen Schatten auf ihrem Sonnenweg! War es wirklich etwas mit dieser Erscheinung, so sollte der Spiegel ein Zeichen davon tragen. Den Beweis wollte sie sich holen, jetzt gleich wollte sie hingehen, und das blanke Glas würde ihr nichts zeigen, als ihr eigenes schönes, stolzes Bild!
    Ulla Uhlberg stand vor dem hohen Spiegel in ihrem Boudoir und schaute hinein. Ein breiter Riß zog sich über seine kristallene
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