Die drei Lichter der kleinen Veronika
alle anderen. So wirst auch du Mutzeputz wiedersehen, wenn du einmal in Gottes Garten kommst. Er wird an dem Seinen wirken und du an dem Deinen, eure Aufgaben sind verschieden, aber ihr bleibt untereinander, was ihr euch wart, denn das, was ihr wart, wart ihr euch in Liebe, und Liebe ist das Geheimnis alles Lebens. Alles ist Grad und Stufe, aber was Liebe gestaltet hat, ist unvergänglich, und aus ihr bildet sich alles hinauf aus dem Mutterschoß zum Ich. Man muß das ahnen und nicht begreifen wollen, denn es ist etwas vom Großen und Grenzenlosen, ein Teil von Gottes Gedanken, die am zerstörten Tempel bauen.«
Es war gut für die kleine Veronika, daß sie das hörte. So war das Dunkel ihres dunkelsten Tages nicht ohne Licht, und allmählich schaute sie, wenn sie an Mutzeputz dachte, einen Garten des Friedens, und ihre Seele baute an einer Brücke zu ihm. Aber der Sommer ihrer Kinderzeit war nun vorüber, das wußte sie. Jetzt war es Winter geworden, mit Schnee und Eis. In den großen Kachelöfen brannte das Feuer, und es warf seinen zuckenden Schein in die Dämmerung im Hause der Schatten und über seine vielen Schwellen und Stufen. Das Haus der Schatten war eingeschneit. Der nordische Winter ist lang und hart, und es ist nur gut, daß die Sterne so klar an seinem Himmel leuchten.
Ach, kleine Veronika, über eine schwere, dunkle Schwelle bist du gegangen, aber es sind noch viele andere Schwellen und Stufen im Hause der Schatten, über die du wandern mußt. Falle nicht, kleine Veronika, und denke daran, daß auch über dem Hause der Schatten die ewigen Sterne stehn.
Es ist Winter geworden. Aber ist im Winter nicht Karneval? Die Geigen singen, die Flöten locken, und durch den fernen Trommelwirbel klingen die Schellen – der Maskentanz des Lebens beginnt! Hat er nicht auch für dich begonnen, kleine Veronika? Ist es nicht so, als ob die Menschen allmählich ein anderes Aussehen gewinnen? Sie tragen fremde Trachten, schöner oder häßlicher als bisher, und sie haben Masken vor dem Gesicht, die sie früher nicht hatten. Oder sahst du nur bis zu dieser Stunde die Maske, und die Menschen haben sie jetzt abgenommen und schauen dich an, wie sie wirklich sind? Ach, kleine Veronika, man weiß das so selten im Leben, ob jemand die Maske trägt oder ob er sie ablegt. Und wann legt man selber die Maske vor und wann nicht? Der Karneval des Lebens ist ein verworrener Tanz. Wir lachen und weinen, wir hoffen und irren, wir hassen und lieben in seinem bunten Reigen, aber wissen wir es, wer wir selbst und wer alle die anderen sind? Es gibt so viele Masken, wer will sich da hindurchfinden? Es ist oft sehr schwer, kleine Veronika, und die Stunde, die uns wirklich alles ohne Masken zeigt, ist unsere letzte Stunde, und dann tanzen wir nicht mehr mit im Karneval des Lebens.«
Es war Winter, und über vieles war der Schnee gefallen.
Aber die Geigen sangen, die Flöten lockten, und im fernen Trommelwirbel klangen die Schellen. Im Winter ist ja Karneval, nicht wahr? War es da nicht verständlich, daß Ulla Uhlberg zum Maskentanz nach Schloß Irreloh geladen hatte?
Veronika hatte sich zum Fest auf Irreloh angezogen. Sie stand vor dem Spiegel und reckte die Glieder, als gelte es einen Kampf. Sie sah sieghaft jung aus in ihrem bunten Kleide, und Magister Mützchen saß in einer Pappschachtel daneben und betrachtete Veronika voller Wohlwollen. Ein feiner, goldener Schmuck, wie ihn einst die Florentiner Damen trugen, zog sich wie ein blitzender Faden durch Veronikas Haar. Karoline hatte zwar zu diesem Zweck ihre sämtlichen bedruckten Kopftücher zur Verfügung gestellt, aber Karolines Kopftücher waren jenseits aller Kulturen und jedes Stils, und man hatte ihr das schonend ausgeredet. Peter und Zottel standen ein wenig abseits und bewunderten Veronika. Zottel war es freilich einerlei, wie Veronika gekleidet war, die Tiere sind uns ja immer gleich gut, ob wir im Königsgewand oder in Lumpen einhergehen. Aber Peter fand Veronika über alle Maßen schön, und fast bedauerte er es, nicht auch zum Maskentanz von Irreloh zu gehen. Ulla Uhlberg hatte ihn zwar eingeladen, aber er war zu scheu, um sich unter so viele fremde Menschen zu wagen.
»Du bist wunderschön, Veronika«, sagte er versunken.
Veronika freute sich und nestelte etwas verlegen an ihrem Schmuck.
War Peter nicht auch anders geworden, als in der Kinderzeit? Trug auch er eine Maske? Die Geigen sangen, die Flöten lockten, der Karneval des Lebens hatte begonnen. Und sahen nicht
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