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Mein Erzengel (German Edition)

Mein Erzengel (German Edition)

Titel: Mein Erzengel (German Edition)
Autoren: Erica Fischer
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Angefangen hatte es wie ein Märchen.
    Aus lauter Sommerlangeweile setzte sie eine Anzeige in die Stadtzeitung. Die Resonanz war überwältigend, das Telefon klingelte ohne Unterlass, die Anrufer beschwerten sich, dass andauernd besetzt war. Jeden Tag ein anderer, das war amüsant und aufregend. Mit manchen ging sie ins Bett, mit anderen nicht, ernst nahm sie keinen. Endlich eroberte auch sie sich eine Freiheit, um die sie Männer stets beneidet hatte: Lust ohne Liebe. Ohne Liebe, die klein und abhängig macht, dieses ekelhafte Betteln um Zuwendung und Schutz. Aber bald schon legte sich eine Art Mattigkeit auf sie, was anfangs so geprickelt hatte, war längst nur noch anstrengend: Wenn deren Selbstdarstellung sie nicht überzeugte, war einiger Takt nötig, um die Männer wieder loszuwerden. Die Sache begann ihr lästig zu werden. Doch dann kam alles anders. Der Mann am Telefon sprach tadelloses Deutsch, hatte aber einen Akzent, sie tippte auf Holländisch oder Flämisch. Flämisch sei keine Sprache, es gebe nur Niederländisch, würde er sie später aufklären. Seine Stimme war tief wie ein Kontrabass, sie konnte sich nicht erinnern, jemals eine so tiefe Stimme gehört zu haben. Dieser Neue war ein anderes Kaliber, das spürte sie gleich.
    Und offenbar kannte er sie. «Du bist ja die Ruth», rief er aus, und dass er sie unter Millionen erkennen würde. Das war ihr peinlich, die anderen hatten ihre Identität nicht so bald erfahren, wenn überhaupt. Er aber wusste alles über sie, hatte ihre persönliche und politische Entwicklung über die Jahre aufmerksam verfolgt. So etwas schmeichelt. Wer war dieser Mann?
    Noch spät am Abend fuhr sie mit ihrem klapprigen 2CV in den Arbeiterbezirk, wo er in einem Gasthausgarten auf sie warten würde. Hinter dem Gatter, das die Hunde fernhielt, er fürchte sich vor Hunden. Am liebsten würde er Ruth gar nicht treffen wollen, sagte er ihr am Telefon, denn er könne den in ihrer Anzeige formulierten ästhetischen Anforderungen nicht entsprechen, habe nur aus Neugier auf diese Frau angerufen, die so keck war, ihre private Telefonnummer in die Zeitung zu setzen. Doch Ruth ließ sich nicht abwimmeln. Sie musste ihn sehen.

    Die seit Tagen anhaltende glühende Hitze war einer angenehmen Kühle gewichen. Der einzige Gast im schwach erleuchteten Gartenlokal saß unter einem Kastanienbaum, vor sich ein Glas Rotwein, ein großer, ungeschlachter Mann mit strähnigen blonden Haaren, am Hinterkopf zu einem Pferdeschwanz zusammengebunden, die Lider über den wasserblauen Augen waren geschwollen. Sein Anblick entsprach in der Tat nicht dem, was sie sich unter einem Mann für gewisse Stunden vorstellte. Wenn diese Stimme nicht gewesen wäre.
    Sie hatte richtig getippt: Er war Niederländer, lebte aber schon lange in Wien. Bei einer Veranstaltung über Sexismus in der Werbung hatte er sie zum ersten Mal gesehen. Aus Empörung über die großflächige Darstellung kopfloser Frauen auf den Werbeplakaten, hatte Ruth mit anderen Feministinnen in einer Nacht- und Nebelaktion sämtliche Filialen einer Kette von Damenunterwäschegeschäften mit lila Farbe besprüht und die Kundinnen aufgefordert, nicht dort einzukaufen. Eine der Ungeschickteren wurde von der Polizei in flagranti erwischt, und am übernächsten Tag waren die Medien voll von der Geschichte. Sexismus, das klang nach Sex, ein gefundenes Fressen für die Boulevardpresse. Ruth hatte Erfahrung mit den Medien und wurde als Sprecherin in den Ring geschickt. (Heute zuckt sie über solche Plakate nur noch müde die Achseln.)
    Wie sie da an jenem Abend im randvollen Vortragssaal der Evangelischen Studentengemeinde auf dem Podium saß, verliebte er sich in sie. Ihr durch Ironie gebremstes Feuer, ihre klangvolle Stimme mit dem Wiener Akzent, die dunklen Augen – alles an ihr habe ihm gefallen, sagte er und lächelte versonnen. Von da an habe er dafür gesorgt, dass sich ihre Wege häufig kreuzten, doch Ruth nahm keine Notiz von ihm, und er war zu stolz, sich ihr zu nähern. Ignorant sei sie gewesen, hochmütig und eingebildet, würde er ihr später vorwerfen.

    In jener Hochsommernacht in dem Wiener Vorstadtbeisl verliebte sie sich in ihn. Als das Lokal schloss, zogen sie weiter. Sie redeten und redeten, über ihre unterschiedlichen Familien, über die Mühsal der Arbeit in politischen Gruppen, über die verpassten Gelegenheiten, einander schon vor Jahren zu begegnen. Wenn Stille eintrat zwischen ihnen, wurden sie nervös, senkten den Blick, und
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