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Der Faenger im Roggen - V3

Titel: Der Faenger im Roggen - V3
Autoren: J. D. Salinger
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1. Kapitel
    Falls Sie wirklich meine Geschichte hören wollen, so möchten Sie wahrscheinlich vor allem
    wissen, wo ich geboren wurde und wie ich meine verflixte Kindheit verbrachte und was meine
    Eltern taten, bevor sie mit mir beschäftigt waren, und was es sonst noch an
    David-Copperfield-Zeug zu erzählen gäbe, aber ich habe keine Lust, das alles zu erzählen.
    Erstens langweilt mich das alles, und zweitens bekämen meine Eltern pro Nase je zwei
    Schlaganfälle, wenn ich so persönliche Auskünfte über sie geben würde. Sie sind in der Hinsicht
    sehr empfindlich, besonders mein Vater. Sie sind sehr nette Leute und so - ich sagte nichts
    gegen sie -, aber höllisch empfindlich. Außerdem will ich nicht meine ganze verfluchte
    Autobiographie oder etwas Ähnliches schreiben. Ich will nur die verrückten Sachen erzählen, die
    sich letzte Weihnachten abspielten, bevor ich vollkommen zusammenklappte und hier her gebracht
    wurde, um mich zu erholen. Das alles habe ich schon D.B. erzählt, der mein Bruder ist und so.
    Er ist in Hollywood. Das ist nicht weit von diesem elenden Nest hier, und er besucht mich fast
    an jedem Wochenende. Er wird mich auch nach Hause bringen, falls ich nächsten Monat heimfahre.
    Er hat sich gerade einen Jaguar gekauft, so einen kleinen englischen Wagen, der ungefähr
    dreihundert Stundenkilometer machen kann. Dafür hat er an die viertausend Dollar bezahlt. Er
    ist jetzt gut bei Kasse, besser als früher. Solange er noch bei uns zu Hause lebte, war er ein
    gewöhnlicher Schriftsteller. Er schrieb den fabelhaften Kurzgeschichtenband Der geheime
    Goldfisch , falls Sie je davon gehört haben. Die beste Erzählung darin hieß Der geheime
    Goldfisch. Sie handelt von diesem kleinen Kerl, der niemandem seinen Goldfisch zeigen
    wollte, weil er ihn von seinem eigenen Taschengeld gekauft hatte. Das hat mich umgeschmissen.
    Jetzt ist D.B. in Hollywood und prostituiert sich. Wenn mir wirklich etwas verhaßt ist, dann
    sind es Filme. Ich will überhaupt nichts damit zu tun haben.
Ich muß mit dem Tag anfangen, an dem ich Pencey verließ.
Pencey befindet sich in Agerstown in Pennsylvanien.
Wahrscheinlich hat jeder schon davon gehört oder mindestens die Inserate gelesen. Sie machen in
    ungefähr tausend Magazinen Reklame und bilden immer einen schneidigen Jüngling ab, der hoch zu
    Roß ein Hindernis nimmt. Es soll so aussehen, als ob in Pencey die ganze Zeit Polo gespielt
    werde. Dabei habe ich dort kein einziges Mal auch nur von weitem ein Pferd zu Gesicht bekommen.
    Unter dem Bild steht in jedem Inserat: »Seit 1888 formen wir unsere Schüler zu fähigen, klar
    denkenden jungen Männern.« Reines Geschwätz. In Pencey wird ebenso wenig »geformt« wie in jeder
    anderen Schule. Und mir ist dort keiner begegnet, der fähig und klar denkend gewesen wäre.
    Vielleicht höchstens zwei, wenn es überhaupt so viele waren. Aber wahrscheinlich waren die
    schon so, bevor sie nach Pencey kamen.
Also, es war an dem Samstag, an dem der Fußballmatch gegen Saxon Hall stattfand. Das sollte für
    ganz Pencey ein großes Ereignis sein. Es war das letzte Match in diesem Jahr, und man erwartete
    von uns, daß wir mindestens Selbstmord begingen, falls unsere Schule nicht gewönne. Ungefähr um
    drei Uhr nachmittags stand ich oben auf dem Thomsen Hill neben der blöden Kanone, die aus dem
    Revolutionskrieg stammt. Von dort aus überblickte man das ganze Spielfeld und konnte zusehen,
    wie sich beide Mannschaften herumjagten. Die Tribüne sah ich nicht deutlich, aber ich hörte das
    dröhnende Gebrüll für Pencey, denn außer mir war fast die ganze Schule dort, und die spärlichen
    Zurufe für Saxon Hill, denn die Gäste brachten meistens nur wenige Leute mit.
Zu den Fußballspielen kamen nie viele Mädchen. Nur die älteren Jahrgänge durften Mädchen
    einladen. Pencey war in jeder Hinsicht eine gräßliche Schule. Ich bin lieber irgendwo, wo man
    wenigstens von Zeit zu Zeit ein paar Mädchen sehen kann, auch wenn sie sich nur am Arm kratzen
    oder sich die Nase putzen oder nur einfach kichern. Selma Thurmer - die Tochter des Rektors -
    tauchte oft bei den Wettkämpfen auf, aber sie war nicht ganz der Typ, in den man sich
    wahnsinnig hätte verknallen können. Immerhin war sie ein ganz nettes Ding. Einmal saß sie im
    Autobus neben mir, als wir von Agerstown kamen, und wir machten sozusagen Konversation. Da
    gefiel sie mir. Sie hatte eine große Nase und bis aufs Fleisch abgebissene, blutig aussehende
    Nägel, nur trug
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