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Die Dirne vom Niederrhein

Die Dirne vom Niederrhein

Titel: Die Dirne vom Niederrhein
Autoren: Sebastian Thiel
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die Stirn. Einmal, zweimal – sie geriet in Rage. All die Wut, welche sich in den letzten Wochen in ihr aufgestaut hatte, all die Ungerechtigkeit, die ihr widerfahren war, und die Schuld, die schwer auf ihren Schultern lastete, brachen durch. Es dauerte lange, bis sie von ihm abließ. Bayer lag in einer Lache aus seinem eigenen Blut. Die rote Flüssigkeit verteilte sich über den Holzboden, hatte bald Elisabeths Schuhe erreicht. Durch ein Husten wurde sie ins Hier und Jetzt katapultiert. Ratte lag wenige Zoll von der Blutlache entfernt. Sein Blick ging an die Decke, die Augen wirkten leer, kraftlos. Obwohl Jakob noch Bela im Arm trug, kniete er sich herab.
    »Mach mir keinen Scheiß, Gustav«, mahnte Jakob. »Du kannst jetzt nicht schlapp machen.«
    Elisabeth kniete sich nieder. Kraftlos deutete Ratte Jakob an, sich zu ihm hinunterzulehnen. Mit kalkweißem Gesicht ging Jakob mit seinem Ohr ganz nah an Rattes Lippen. Auch Elisabeth lauschte der dünnen Stimme.
    »Du lässt dich von jedem reinlegen. Das ist ’ne Schulterverletzung …« Seine Stimme wurde augenblicklich fester, er lachte schwach auf. Einige Schrecksekunden blickte Jakob seinen Freund voller Unverständnis an, dann zogen sich seine Mundwinkel nach oben. Elisabeth konnte sehen, dass Rattes Schmerzen schlimmer waren, als er zugeben mochte. Trotzdem schaffte er es, aufzustehen, wankte jedoch bedrohlich. Aus irgendeinem Grund hatte sie das Gefühl, dass dieser zähe Bursche auch diese Schlacht überleben würde.
    »Kannst du gehen?«, fragte sie und stützte ihn.
    Er nickte schwach.
    »Gut. Jakob, bring Bela und Gustav zur Abtei. Die Schwestern sollen sich um ihre Wunden kümmern.«
    Der Hüne drückte Bela behutsam an sich. »Du wirst ihnen nicht nachjagen, Elisabeth.«
    Sie funkelten einander an.
    »Dies ist nicht die Zeit für Dispute. Erst werde ich den Frauen ein Zeichen geben, dann werde ich von Rosen finden und ihn töten.«
    »Du kannst nicht …«
    »Geh!«, befahl sie. Ihre Stimme ließ keinen Widerspruch zu. Schwer atmend half sie den dreien die Treppe herunter und aus dem Fenster. Ohne eine Sekunde zu verlieren, preschte sie wieder die Stufen hoch. Vorsichtig ging sie auf den Balkon.
    Das Fest war immer noch im Gange. Einen Steinwurf abseits trieben mehrere Frauen mit Soldaten Unzucht, ein paar rekelten sich auf den Tischen und ließen die Männer Bier von ihren Busen lecken. Kein Wunder, dass die Soldaten von dem Schuss nichts mitbekommen hatten, so wie sie von den Frauen beschäftigt wurden. Oder es war ihnen schlichtweg egal gewesen.
    Elisabeth lehnte sich übermütig über die Balustrade und rief lallend: »Lasst einen für mich übrig. Hier oben gibt es nichts mehr zu tun!«
    Die Frauen verstanden sofort. Sie würden die letzten Männer noch bedienen, versprechen, dass sie morgen wiederkämen, und würden hoffentlich unversehrt den Rückweg ins Kloster antreten. Uta und Pauline nickten ihr kurz zu, dann drehte Elisabeth sich um, hetzte ins Erdgeschoss und kletterte aus dem Fenster. Ihr Kopf pochte gewaltig, die Welt um sie herum drehte sich, und trotzdem wollte sie nichts anderes, als ihren Geliebten finden.
    Drei Pferde waren im Stall angebunden. In diesem Moment verfluchte sie, dass ihre Reitkünste sich in Grenzen hielten. Sie brauchte einige Minuten, um eines der Tiere zu satteln. Das alles dauerte zu lange, viel zu lange.
    Maximilian brauchte jede Hilfe, die er kriegen konnte. Der Major war ein alter Haudegen, mit allen Wassern gewaschen. Außerdem hatte er Bela geschändet, Mutter Rosi und Hauptmann Falkensted getötet. Auch für die Verschleppung der Huren war er verantwortlich. Ihre Finger ballten sich zu Fäusten. Es gab genügend Gründe, warum dieses Monster durch ihre Hand sterben sollte. Sie nahm allen Mut zusammen, schwang sich auf den Rücken des von ihr gesattelten Rappen und stieß dem Tier mehrmals ihre Fersen in die Flanken. Der Mond beschien die Felder des Niederrheins, es war mitten in der Nacht. In wenigen Stunden würde die Armee eintreffen. Ihr lief die Zeit davon und mit jeder Sekunde, die sie sich dem Tageslicht näherten, wurden ihre Chancen kleiner. Elisabeth presste sich ganz nah an den Hals des Tieres, während sie im Galopp über die Wiesen schoss.

Kapitel 19
- Die versunkene Kapelle -

    Von Weitem erkannte Maximilian das Pferd des Majors. Es graste genügsam am Wegesrand und winkelte dabei ein Bein an. Anscheinend hatte von Rosen das arme Tier zu stark gefordert, weshalb er den restlichen Weg zu Fuß
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