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Die Dirne vom Niederrhein

Die Dirne vom Niederrhein

Titel: Die Dirne vom Niederrhein
Autoren: Sebastian Thiel
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zurücklegen musste. Vor Maximilian bauten sich die Süchtelner Höhen auf, eine Kette aus Erhebungen und Tälern, für die die Ortsansässigen sogar eigene Namen hatten. Die Wipfel der Tannen sahen aus wie spitze Pfeiler, die in den Nachthimmel stachen. Einen Moment erinnerte er sich an das Gespräch mit dem Vikar zurück. Die versunkene Kapelle mit ihrem unversiegbaren Weiher musste nicht weit von hier entfernt sein. Der Boden war abschüssig. Es gab keine Zweifel – er befand sich an der Grenze des Johannistals. Maximilian stoppte, stieg vom Pferd ab und band die Zügel locker an einen tiefhängenden Ast. Er atmete tief durch, als er in das Dickicht trat. Wie ein weißer Schleier hing der Nebel zwischen den Bäumen und die Schwaden nahmen ihm die Sicht. Hinter diesen Wäldern lag Süchteln. In der Stadt waren weitere Teile der Hessischen Armee untergebracht. Sollte der Major es bis in die Stadt schaffen, war Maximilian verloren.
    Heute war Johannisnacht. Angeblich sollte es in diesen Wäldern spuken. Früher waren die Gläubigen an diesen Ort gekommen, um Gottes Beistand zu erflehen, meist in höchster Not. Gottes Beistand könnte er gut gebrauchen. Maximilian lauschte und schritt weiter hinab in das finstere Tal. Kein Mucks war in dieser gespenstischen Kulisse auszumachen. Gar nichts. Kein Vogelschlag, kein Geräusch von Ästen, die der Wind bewegte. Als würde der Wald jeden Ton verschlucken.
    Langsam setzte er einen Fuß vor den anderen. Es war unmöglich zu wissen, in welche Richtung der Major gegangen war. Maximilians Puls schlug ihm bis zum Hals, das Blut rauschte in seinen Adern und er umfasste den Säbel fester. Ab und zu brach das Mondlicht durch die dicht beisammen stehenden Bäume. Noch einmal hielt er inne und lauschte in die Stille der Nacht hinein.
    War da ein Geräusch?
    Sofort ging er in die Knie und starrte mit geöffneten Augen in die Richtung, in der er den Ursprung vermutete. Erst war das Geräusch weit entfernt gewesen, doch es schien sich zu nähern. Maximilian schloss die Augen. Tatsächlich. Irgendwo, einen Steinwurf entfernt, miaute eine Katze. War sie vom Major aufgeschreckt worden? Gestört bei ihrer Mäusejagd? Er musste weiter. Äste knackten unter seinem Gewicht. Er ging immer tiefer in das Dickicht, welches jeden Schimmer des Lichtes verschlang. Plötzlich kam eine Brise auf. War es eben noch totenstill gewesen, hauchte nun der Wind über seine Haut und ließ einen Schauer über seinen Rücken wandern. Schwingende Äste, rauschende Blätter. Der ganze Wald bewegte sich mit einem Mal. Über ihm musste ein Gewitter aufziehen. Er blickte nach oben, konnte jedoch nichts erkennen.
    Maximilian fuhr herum. Da war es wieder … dieses Geräusch. Diesmal beschleunigte er seinen Schritt. Der Boden unter ihm wurde weicher, gab schmatzende Geräusche von sich. Anscheinend waren die Sümpfe nicht mehr weit entfernt. Etliche Fuß vor ihm suchte sich eine Gestalt in gebückter Haltung ihren Weg zwischen den riesigen Stämmen hindurch. Sie kam in seine Richtung. Maximilian versteckte sich hinter einem Baumstamm und wartete ab. Den Säbel umfasste er mit beiden Händen. Er musste von Rosen niederstrecken. Eine andere Möglichkeit gab es nicht.
    Die Angst nahm von seinem Körper Besitz, schnürte seine Kehle zu, und auf einmal fiel ihm das Atmen in dieser bedrückenden, feuchten Umgebung schwer. In seinem Kopf begann es zu hämmern. Die Klänge wurden vom Wind herangetragen, als wollten sie auf schauderhafte Weise die Sage der versunkenen Kapelle unterstreichen. Er hörte die schnelle Atmung der Gestalt, sie war nur noch wenige Fuß entfernt, würde bald den Baumstamm passieren. Maximilian nahm allen Mut zusammen, als er hervorsprang und die Gestalt zu Boden drückte.
    Ein heller Schrei hallte im Wald wider.
    »Elisabeth«, flüsterte Maximilian und nahm sofort die Schneide von ihrer Kehle.
    Sie atmete so schnell, dass er das Gefühl hatte, sie würde bald ohnmächtig werden. »Ich wollte dir helfen«, sagte sie gepresst und befühlte dabei sein Gesicht. »Nachdem ich die Pferde gesehen habe, bin ich den Geräuschen gefolgt.«
    Maximilian half ihr auf. »Was für Geräusche?«
    Sie zögerte einen Moment, versuchte in die Richtung zu blicken, wo sie die Klänge ausgemacht hatte. »Ich dachte, ich hätte Glockenschläge gehört. Aber mein Verstand muss mir einen Streich gespielt haben. Hier ist alles …«
    »Ja, dieser Ort ist unheilvoll.« Kalter Schweiß stand auf Maximilians Stirn, als er
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