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Das Lied des roten Todes

Das Lied des roten Todes

Titel: Das Lied des roten Todes
Autoren: Bethany Griffin
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Eins
    M ein Vater ist ein Mörder.
    Das Luftschiff schwankt heftig über der schwelenden Stadt. Der Regen brennt in meinem Gesicht, und kalte Windstöße drohen mich vom Deck zu vertreiben. Aber ich kann den Blick nicht von der Zerstörung unter uns abwenden.
    Von hier oben sieht es so aus, als würde die Stadt aus nichts anderem als aus Rechtecken und Quadraten bestehen. Brennenden Rechtecken und zerstörten Quadraten. Rauch quillt aus Fenstern. Die Kathedralen sind nur noch Skelette, offen für den Regen.
    Kent, der dieses erstaunliche Schiff gebaut hat, steht am Steuerruder und kämpft gegen den Wind, der uns vom Kurs abzubringen droht. Wir fliehen, um uns von dem Hinterhalt zu erholen, in dem wir beinahe getötet worden wären, und wir fliehen vor dem Angriff des Roten Todes, dieser entsetzlichen neuen Seuche.
    »Du solltest reingehen«, ruft Kent, übertönt den Wind und den Regen. Ich schüttle den Kopf, schütze mein Gesicht mit einem Arm und betrachte weiter die Stadt. Der Fluss ist ein Band aus schaumigem Blau, das sich durch die symmetrisch angelegten Straßen schlängelt. Aus dieser Höhe wirkt alles so winzig klein, selbst die Zerstörung.
    Der Anblick erinnert mich an die Modellstadt aus Zahnstochern, die Vater für meinen Bruder gebaut hat. Ein Mann, der stundenlang mit seinem Sohn kleine Holzspießchen zu runden Türmen zusammengeklebt hat, kann doch nicht der Mann sein, der die ganze Menschheit vernichten würde – oder doch? Nicht absichtlich … In meinen Augenwinkeln bilden sich Tränen.
    »Araby?«
    Elliott ist direkt hinter mir. Ich spüre ihn, auch wenn er mich nicht berührt. Noch nicht. Ich richte mich gerade auf. Ich will nicht, dass er sieht, wie viel Angst ich habe.
    »Es ist kalt ohne dich.« Seine Stimme klingt brüchig, und ich stelle mir vor, dass ich endlich einmal einen Blick in sein Inneres werfen kann, wenn ich mich umdrehe, aber in diesem Moment macht das Schiff einen Satz, und ich muss mich irgendwo festhalten. Meine Knöchel heben sich knochenweiß von dem Geländer ab, während das Schiff bei jeder Windböe hin und her schwankt.
    Der Wind wirbelt meine Haare auf, und sie peitschen um uns beide herum. Elliott berührt meinen Nacken. Etwas hat sich zwischen uns geändert, aber ich weiß nicht, was es bedeutet, weiß nicht, was ich fühle, abgesehen von diesem schrecklichen Schmerz, wenn ich daran denke, was mein Vater möglicherweise getan hat.
    »Liebst du sie immer noch?«, frage ich. »Diese Stadt?«
    »Ja.«
    Er schaut nach unten, aber ich glaube nicht, dass er die Leichen sieht.
    »Wir werden sie retten«, spricht er weiter. »Die Stadt und die Menschen. Aber zuerst müssen wir uns selbst retten.«
    Unsere Reise sollte schon bald vorbei sein. Kent hält auf den dichtesten Teil des Waldes zu, der sich zwischen der Stadt und Prosperos Palast erstreckt. Er ist weit genug weg, dass wir dort in Sicherheit sind, und zugleich nahe genug, um schnell zurückkehren zu können. Elliott streicht mir über die Haare; er versucht, sie zu bändigen. Ein unmögliches Unterfangen, aber die sich wiederholende Bewegung ist beruhigend, und einem Teil von mir gefällt es, dass er so nah bei mir ist.
    Eine plötzliche heftige Windböe drückt das Schiff nach unten, und mein Magen sackt bei dem abrupten Sinkflug ebenfalls herab. Kent brüllt etwas, das ich nicht verstehe, während er mit dem Steuerruder kämpft. Als er das Schiff wieder stabilisiert hat, befinden sich die Dächer der höchsten Häuser dicht unter uns. Das höchste ist nur ein Gitter aus kantigen Balken. Auf anderen befinden sich Möbelstücke und Kübelpflanzen.
    Über ein besonders baufälliges Dach stolpert ein halbes Dutzend Jungen; sie lachen und schubsen einander. Als sie das Luftschiff sehen, bleiben sie stehen, schauen zu uns hoch und zeigen auf uns. Einer hebt eine Flasche und prostet uns zu, aber dann stolpert er und verschüttet sein Getränk. Sie alle haben Musketen in den Händen, und ein paar von ihnen feuern ziellos auf die Straße. Dann schießen einige in die Wolken.
    »Verdammt«, sagt Elliott. »Wir sind viel zu dicht dran.«
    Und der Wind scheint entschlossen, uns sogar noch näher an sie heranzutreiben. Das Luftschiff sackt noch einmal ab. Ich ziehe Elliot zum Heck, halte mich immer noch mit einer Hand an der Reling fest, bis wir Kent nah genug sind, um mit ihm sprechen zu können.
    Er schiebt seine Schutzbrille hoch auf den Kopf. Seine braunen Haare stehen wild in alle Richtungen ab.
    »Eine halbe Stunde
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