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Die Dirne und der Bischof

Die Dirne und der Bischof

Titel: Die Dirne und der Bischof
Autoren: Ulrike Schweikert
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Halte sie warm, und versuche, ihr ein wenig Wein einzuflößen. Mehr kann man im Moment nicht tun.«
    »Wird sie wieder erwachen?«
    Der Bader packte seine Utensilien wieder in seine Tasche. »Das weiß nur Gott alleine. Ich komme morgen nach der Messe noch einmal vorbei.«
    »Ist das denn nötig?«, brummte die Wirtin. In Gedanken zählte sie die Münzen, die sie würde bezahlen müssen, wenn das Mädchen starb. »Wenn du eh nichts für sie tun kannst? Abwarten können wir auch alleine!«
    Der Bader schürzte missbilligend die Lippen. »Nun, wenn du nicht willst, dann komme ich eben nicht.«
    Else versuchte sich an einem versöhnlichen Lächeln. »So habe ich das nicht gemeint, Bader Wander. Wenn sie aufwacht und deiner Hilfe bedarf, schicke ich Anna zu dir herüber. Ansonsten wird es nicht nötig sein, deine Sonntagsruhe zu stören.«
    Er neigte den Kopf und nahm den Becher mit saurem Wein entgegen, den Else ihm entgegenstreckte.
    »Nun denn, Eselswirtin, eine gesegnete Nacht«, wünschte er zum Abschied und ging hinaus. Else warf einen Blick zu den Lagern ihrer Frauen, die sich alle schlafend stellten, und kehrte dann zu der Bewusstlosen zurück. Sie hatte gerade entschieden, dass es nicht lohne, bei ihr zu wachen, als ein Seufzer sich den halb geöffneten Lippen entrang und die junge Frau die Augen aufschlug.
     

Kapitel 2
    Um sie herum war es dunkel. Sie schwebte. Sie konnte ihren Körper nicht mehr fühlen. Wo war sie? Was war mit ihr geschehen? Sie konnte sich nicht mehr daran erinnern. Wer war sie überhaupt? Verschiedene Namen und Gesichter huschten durch ihren Geist, doch keiner davon löste ein besonders intensives Gefühl aus. Vielleicht war sie gar kein Mensch, kein lebendes Wesen, nur ein Gedanke in der Leere, bevor Gott die Welt schuf? Diese Vorstellung löste ein Gefühl von Frieden in ihr aus. Die Finsternis verlor ihren Schrecken. Sie musste sich nicht länger mühen, diesen Ort hinter sich zu lassen. Alles lief nach Gottes Plan, und sie würde so lange hier in der Dunkelheit schweben, bis der Schöpfer sich ans Werk machte und »Es werde Licht!« rief.
    Es wurde Licht! Erst war es nur ein schwacher, rötlicher Schimmer, den man für eine Täuschung der Sinne halten konnte, doch dann wurde er stärker und brannte sich schmerzhaft in den losgelösten Geist. Und plötzlich gab es auch Geräusche dort irgendwo hinter dem roten Schein. Es war keine Musik. Es waren Stimmen. Verschiedene Stimmen. Ein Mann und eine Frau und dann noch jemand. Sie sprachen irgendwelche Worte, und ihre Stimmen störten die göttliche Harmonie, die so kurz vor Beginn der Schöpfung herrschte. Wie konnten sie es wagen, sich vorzudrängen? Warum warteten sie nicht einfach, bis sie an der Reihe waren? Sie hatte das Bedürfnis, ärgerlich die Stirn zu runzeln, doch wie sollte das gehen ohne einen Körper? Als wolle ihr Leib sie vom Gegenteil überzeugen, zuckte Schmerz durch sie hindurch. Er begann im Kopf, wand sich über Rücken und Schultern und fuhr ihr dann bis in die Beine. Fast enttäuscht musste sie sich eingestehen, dass sie nicht nur ein körperloser Gedanke war. Nun verstand sie auch einige der Worte, die um sie herum gesprochen wurden. Der Mann stand links von ihr, die Frau auf der rechten Seite. Dann erklang noch eine dritte Stimme von einer weiteren Frau, die jünger sein musste als die erste. Eine Hand griff nach ihrem Arm, dann tasteten Finger über ihren Hals. Ein kalter Lufthauch strich über ihre nackte Haut.
    Ihr Geist ließ ein Seufzen durch den Raum ihrer Gedanken hallen. Es wurde Zeit, die Augen zu öffnen. Noch ehe sie sich im Klaren war, ob sie dem zustimmen sollte, zuckten ihre Lider, und Licht fiel in einem grellen Streifen in ihre Augen. Ein feistes Männergesicht beugte sich über ihren nackten Leib. Eine fleischige Handhielt eine Öllampe. Der Schmerz schoss wie ein Blitz durch ihren Kopf, und sie kniff die Lider hastig wieder zu. Obwohl sie kein Verlangen spürte, den Versuch zu wiederholen, öffnete sie nach einer Weile noch einmal die Augen. Nun war es ruhig, die Stimmen und Schritte waren verklungen, das Licht gedämpft. Der Schmerz hielt sich in Grenzen, und sie blinzelte ein paar Mal, bis das verschwommene Bild so weit an Schärfe gewann, dass sie etwas erkennen konnte.
    Von Alter und Ruß geschwärzte Dachbalken, die Sparren mit Stroh gedeckt. Es roch feucht und modrig, aber auch seltsam süßlich. Alles kam ihr fremd vor. So fremd wie ihr eigener Körper, der sich nun mit immer schärferen
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