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Die deutsche Seele

Die deutsche Seele

Titel: Die deutsche Seele
Autoren: Thea Dorn
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Bergmannskluft anzulegen (die Heine als »Delinquententracht« bezeichnet) und die Clausthaler Silberminen »Dorothea« und »Carolina« zu besichtigen. Zwar witzelt er: »Ich war zuerst in die Carolina gestiegen. Das ist die schmutzigste und unerfreulichste Carolina, die ich je kennengelernt habe.« (Ein Schelm, wer dabei an die beiden Schriftstellerinnen - und für allerlei erotische Verwirrungen sorgenden Zentralmusen der romantischen Clique - Dorothea Schlegel und ihre zeitweise Schwägerin Caroline Sendling, geschiedene Schlegel, denkt.) Gegen Ende seines Grubenberichts preist Heine das Leben der Bergleute jedoch ganz unironisch als »wahrhaftes, lebendiges Leben«. Bereits im Jahre 1737 fährt die Poetin Sidonia Hedwig Zäunemann, die zweite Frau, die mit dem Ehrentitel »Kaiserlich gekrönte Dichterin« ausgezeichnet wird, in jenes Ilmenauische Bergwerk ein, dessen späterer Direktor Goethe heißen soll. Mit einem hymnischen Gedicht kehrt sie über Tage zurück: »Des Bergwerks Schönheit nimmt mich ein; / Ich will, ich muss ein Bergmann sein.«
    Dass es sich bei dieser Bergwerksverzückung um einen spezifisch deutschen Zug handelt, wird klar, wenn man dagegen liest, was Henry Crabb Robinson, der erfahrenste britische Deutschlandreisende des frühen 19. Jahrhunderts, in seinem Tagebuch festhält: »In Sankt Andreasberg stillte ich meine Neugier durch den Abstieg in eine Mine, wobei ich erfuhr, dass dies ein ermüdendes, wenig lehrreiches und außerordentlich uninteressantes Spektakel ist. Allgemein gesprochen kenne ich keinen Anblick, der die Mühe so wenig lohnt.«
    Es mag äußere Gründe geben, wieso der Brite dort, wo seine deutschen Zeitgenossen ins Rhapsodieren geraten, mit stiff upper Up reagiert: Bergbau weckt bei einem Briten völlig andere Assoziationen als bei einem Deutschen. Auf der Insel dominiert der Kohlebergbau, während in Deutschland vorrangig Edelmetalle gefördert werden. (Die Kohlevorkommen an der Ruhr, die den gewaltigen Industrialisierungsschub Deutschlands in der zweiten Hälfte des 19. Jahrhunderts ermöglichen, sind zu Beginn jenes Jahrhunderts noch nicht entdeckt.) Außerdem ist Deutschland, genauer gesagt die »Königliche Bergakademie in Freiberg«, das Mekka der damaligen Bergbaukunde. Studenten und Spezialisten aus ganz Europa und sogar Amerika strömen nach Mittelsachsen, um dort u. a. bei dem charismatischen Mineralogen und Geologen Abraham Gottlob Werner - bei dem auch Novalis und Alexander von Humboldt studierten - alles über »Geognosie« (Lehre von der Struktur und der Zusammensetzung der Erde) und »Oryktognosie« (Lehre von der Klassifizierung der Mineralien) zu erfahren. (Die älteste montanwissenschaftliche Universität der Welt existiert übrigens immer noch. Heute nennt sie sich im Untertitel »Ressourcenuniversität« - und ist damit ihren Wurzeln treu, schließlich war es ihr Gründer, der Oberberghauptmann Hannß Carl von Carlowitz, der bereits im Jahre 1713 den Begriff der »Nachhaltigkeit« prägte.)
    Doch die Tatsache allein, dass Deutschland um 1800 herum die führende Nation in Sachen Bergbau/Montanwissenschaften ist, erklärt nicht den Überschwang, mit dem der deutsche Geist jener Zeit in den Berg einfährt. Der erotische Subtext genügt ebenfalls nicht, auch wenn in den Bergwerkserzählungen von E. T. A. Hoffmann und Ludwig Tieck »unterirdische Königinnen« mit ihrer Schönheit, die nicht von dieser Welt ist, melancholische Jünglinge zu sich in den Abgrund ziehen, und Sigmund Freud in Die Traumdeutung erklären wird, dass jeder Abstieg in einen Bergwerksschacht ein Symbol für den Akt des Koitus sei.
    »Nach innen geht der geheimnisvolle Weg«, schreibt Novalis in seinem ersten veröffentlichten Text, den Blütenstaub-Aphorismen. Dies ist keine touristische Empfehlung, die von ihm beaufsichtigten Salinenstollen in Weißenfels zu besuchen, sondern gemeint ist, dass wir uns in die unbekannte »Tiefe unseres Geistes« versenken sollen. Liest man jedoch Novalis’ Hymne an den Bergbau in seinem Romanfragment Heinrich von Ofterdingen, scheint es kein besseres Hilfsmittel zu geben, den geheimnisvollen »Weg nach innen« zu finden, als tatsächlich den Gang in den Berg anzutreten. So heißt es dort über den Bergmann: »Sein einsames Geschäft sondert ihn vom Tage und dem Umgange mit Menschen einen großen Teil seines Lebens ab. Er gewöhnt sich nicht zu einer stumpfen Gleichgültigkeit gegen diese überirdischen tiefsinnigen Dinge und behält die kindliche
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