Bücher online kostenlos Kostenlos Online Lesen
Die deutsche Seele

Die deutsche Seele

Titel: Die deutsche Seele
Autoren: Thea Dorn
Vom Netzwerk:
tun hat. Die Verdammnis besteht in der Lust selbst, in der »Allgewalt«, mit der Heines Tannhäuser Frau Venus verfallen ist, obwohl er weiß, dass unzählige Helden vor ihm den »lilienweißen Leib« bereits genossen haben - und unzählige ihm nachfolgen werden. Doch es geht um mehr als um männliche Eifersucht. Der Ritter mag die Göttin »unsterblich lieben«, wie man so sagt - er selbst bleibt sterblich. Seine Liaison mit der Unsterblichen kann nichts anderes sein als eine groteske Mesalliance. Die schönen Tage, in denen antike Götter ihre Lieblingshelden zu sich in die Unsterblichkeit holten, sind vorbei.
    Dieselbe Verzweiflung treibt den Tannhäuser in Richard Wagners romantischer Oper aus dem Venusberg hinaus: »Doch sterblich, ach! bin ich geblieben, / Und übergroß ist mir dein Lieben. / Wenn stets ein Gott genießen kann, / Bin ich dem Wechsel untenan«, lässt Wagner seinen Sängerritter klagen.
    Falls es so etwas wie einen gemeinsamen Glutkern aller Romantiker gibt, ist es der - ewig scheiternde und dennoch unermüdlich betriebene - Versuch, die begrenzte, armselig umrissene Wirklichkeit so zu betrachten/gestalten/verzaubern, dass sich in ihr das Gefühl der Unendlichkeit einstellt. Und was wäre besser geeignet, dieses paradoxe Gefühl eines ewigen Augenblicks zu erzeugen, als die selbstvergessene Hingabe in der Lust? Doch Tannhäuser muss erkennen, dass die ewige Aneinanderreihung solch ewiger Augenblicke nicht den Horizont in die Ewigkeit öffnet. Dauererektion ist keine Erlösung, sondern peinliche Erstarrung.
    Bei Wagner wird Tannhäuser diese Erlösung erst in einem ganz anderen Abgrund finden - im Abgrund der reinen Liebe einer irdischen Jungfrau zu ihm, die so unermesslich ist, dass die »heilige« Elisabeth aus Kummer um ihn stirbt. Und Tannhäuser stirbt dem gebrochenen Herzen gleich hinterher, anstatt in die Lusthölle der Frau Venus zurückzukehren. Liebestod als letzte Erlösungsphantasie für diejenigen, die sich am kleinen Tod sattgestorben haben.
    Diesen erzromantischen Pas de deux ins Nichts verweigert Heinrich Heine seinem Tannhäuser. Hier hört der Dichter auf, Nachtigall zu sein, und wird zur Spottdrossel. Sein Ritter kehrt nach der päpstlichen Abfuhr in Rom flugs in den Hörselberg zurück - und legt sich erst einmal ins Bett, während Frau Venus in die Küche geht und dem Erschöpften eine Suppe kocht. Wo Wagner den Abgrund der verdammten Lust im Abgrund des gemeinsamen Liebestods übersteigert, erzählt Heine: alles halb so wild. Schau dir den Venusschlund nur genauer an, und du wirst sehen: am Ende eine ganz gewöhnliche Zweierbeziehung, allenfalls mit Tendenz zur Ehehölle. Weder Verdammnis noch Erlösung, sondern das Übliche, finde dich ab damit! Als einziges Überlebensmittel für diese Gewöhnlichkeit gibt Heine seinem Tannhäuser das Geschichtenerzählen an die Hand. Im langen Schluss des Gedichts lässt er den gescheiterten Pilger von den Stationen seiner Reise so launig berichten, dass man meint, man lausche bereits dem Heineschen Epos Deutschland. Ein Wintermärchen.
    Bei Wagner also: die Flucht vorm Abgrund nach vorn, der berauschte Sprung ins Nichts. Bei Heine dagegen: die Entlarvung des Abgrunds als biedere Senke, die sich jedoch ertragen lässt, wenn man eine Vergangenheit hat, von der man erzählen kann, »denn die Vergangenheit ist die eigentliche Heimat [der] Seele«.
    Werfen wir hier einen Blick in die Kluft, die das Teutonisch-Deutsche vom Jüdisch-Deutschen trennt? Der eine schickt seine Figuren, deren Sehnsucht nach Versöhnung von Endlichkeit und Ewigkeit im Diesseits enttäuscht ist, in den Untergang, während der andere sich damit begnügt, seinem Helden den Gang in die Geschichte zu empfehlen. Tut sich dieselbe Kluft auf zwischen Sigmund Freud, dem postromantischen Archäologen der Seele, der seine Patienten dazu animiert, ihre verschüttete(n) Geschichte(n) ans Tageslicht zu bringen, und Friedrich Schlegel, der das deutsch-romantische Verhältnis zu den Abgründen der Seele exemplarisch so zusammenfasst: »Lass ruh’n in Nacht, reiß nicht ans Licht, was in des Herzens stiller Tiefe heilig blüht!« Gewiss ist, dass deutsch-österreichische Juden lange vor dem Holocaust bei aller eigenen Faszination fürs Verschüttete ein sicheres Gespür dafür entwickelten, der deutschen Faszination für den heiligen Abgrund zu misstrauen und dieser die Kraft der Analyse, der Entlarvung entgegenzusetzen.
    Abgrund - Lust - Stillstand der Zeit; oder wie Nietzsche
Vom Netzwerk:

Weitere Kostenlose Bücher