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Die deutsche Seele

Die deutsche Seele

Titel: Die deutsche Seele
Autoren: Thea Dorn
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den Erdrücken als kalt und unwirtlich empfindet und den Himmel für eine allzu wolkige Utopie hält, der sucht sein (vermeintliches) Heil im Schoß der Erde. Die unentfremdete, wahre Heimat wandert in die Tiefe ab.
    Bis heute gibt es zahlreiche schlesische Volkstanz-, Trachten- und sonstige Vereine, die sich in wehmütiger Erinnerung an den verschrobenen Erdgeist, der im Innern des Siebengebirges hausen soll, »Rübezahl« nennen. Ihren wirkmächtigsten politischen Ausdruck findet die Sehnsucht nach einer unterirdischen Heimat aller Deutschen jedoch im Barbarossa-Mythos.
    Nüchtern betrachtet dürfte der Stauferkönig, der von den Deutschen hochverehrte Kaiser des Heiligen Römischen Reiches, im Jahre 1190 beim Dritten Kreuzzug auf dem Weg nach Jerusalem in einem Fluss ertrunken sein. Seit dem 16. Jahrhundert meint die Legende allerdings zu wissen, dass der Rotbärtige sich lediglich in den Kyffhäuser-Gebirgszug im Harz zurückgezogen habe und dort in unterirdischer Kammer schlafend auf seine Rückkehr warte. Diffuse, aber starke Hoffnungen ranken sich um den Schlummerkaiser: Die Aufständischen des ausgehenden Mittelalters haben ihn im Sinn, wenn sie auf tief greifende Veränderung der sozialen Verhältnisse drängen. Deutsch-nationale Kräfte von den Befreiungskriegen gegen Napoleon bis ins zweite deutsche Kaiserreich verbinden mit ihm den Wunsch nach nationaler Einheit und Größe. Zur »Kultfigur« erhebt ihn der Dichter Friedrich Rückert, indem er ihm 1817 jene Ballade widmet, die seine berühmteste werden sollte: »Der alte Barbarossa / Der Kaiser Friederich, / Im unterird’schen Schlosse / Hält er verzaubert sich […]«
    Für immer heim ins »unterird’sche Schlosse« schicken die Nazis den alten Barbarossa, indem sie ihren verheerenden Russlandfeldzug unter seinem Namen führen.
    Wie gefährlich es ist, den Abgrund anzurufen, ahnen sensiblere Schwarmgeister lange vor Stalingrad. Zwar starren auch sie in die Tiefe, als würde sich dort der wahre Himmel spiegeln - die Furcht, es könnte am Schluss doch nur die Hölle sein, der sie sich verschreiben, werden sie nicht los.
    Seit dem Mittelalter lauschen die Deutschen der Legende vom Tannhäuser, vom »guten Ritter«, der in den Venusberg einzieht, um dort mit der heidnischen Göttin der Liebe »Wunders was« zu tun. So exquisit die Freuden sein mögen, die Tannhäuser im Innern des Hörselbergs nahe der Wartburg erlebt - er beginnt zu spüren, dass es eine teuflische Welt ist, die ihn in ihrem Bann hält. Sein Treiben erscheint ihm plötzlich sündig, also pilgert er nach Rom und fleht den Papst um Vergebung an. Doch dieser lässt ihn abblitzen: Für solch abgrundtiefes Vergehen kann er keine Absolution erteilen - so wenig wie sich der Stab in seiner Hand jemals wieder begrünen wird. Tannhäuser kehrt verzweifelt an den Ort seiner Sünde zurück: Und die Göttin der sinnlichen Liebe zeigt sich milder als der irdische Statthalter des Christengotts; sie lässt den Ritter wieder ein in ihre Höhle. Während der Ritter für immer im Venusberg verschwindet, kommen Boten aus Rom, um von einem unerhörten Wunder zu berichten: Der päpstliche Stab habe frische Blätter getrieben …
    Ihre große Zeit erlebt diese Ode an den erotischen Abgrund, die das züchtige Kleid eines christlichen Lehrstücks von päpstlicher Härte und göttlicher Gnade übergestreift bekommt, in der Romantik. Achim von Arnim und Clemens Brentano nehmen die Volksballade in ihre Liedersammlung Des Knaben Wunderhorn auf, die Brüder Grimm erzählen sie in ihren Deutschen Sagen nach, Ludwig Tieck dichtet den ritterlichen Irrgang in die »Sündenherrlichkeit« zum Kunstmärchen hoch. Selbst Heinrich Heine erliegt dem Zauber der Venus-Tannhäuser-Geschichte, als er das alte Lied zum ersten Mal vernimmt: »Es war mir, als hätte ich in einem dumpfen Bergschacht plötzlich eine große Goldader entdeckt, und die stolzeinfachen, urkräftigen Worte strahlten mir so blank entgegen, dass mein Herz fast geblendet wurde von dem unerwarteten Glanz […] Dieses Lied ist wie eine Schlacht der Liebe und es fließt darin das roteste Herzblut.«
    Wie ist es möglich, dass ausgerechnet Heine, der sonst kaum eine Gelegenheit auslässt, mit dem romantischen Hang zu christlichem Mittelalterkitsch abzurechnen, sich vom Tannhäuser dermaßen rühren lässt? Ihn fasziniert der »Abgrund der verdammten Lust«, in den sich einer »blindlings« stürzt, wobei Verdammnis für ihn nichts mit christlichem Höllenfeuer zu
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